Nach einem Kabinettsbeschluss stellte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans, Mitte März die „Nationale Strategie zur Drogen- und Suchtpolitik“ vor. Die Hoffnung, dass damit auch der Startschuss für eine wissenschaftlich begründete und wirkungsvolle Alkoholpolitik gefallen sei, erwies sich aber als falsch. Schon der Beifall der Brauer zur Strategie stimmte skeptisch, die Durchsicht der Papiere zeigt deutlich: Hier will niemand ernsthaft die alkoholbedingten Schäden und Probleme in Deutschland reduzieren.
Während die Bestandsaufnahme im Teilbereich Alkohol absolut korrekt den riesigen Umfang alkoholbezogener Probleme schildert, bleiben die angekündigten Maßnahmen und Programme weit hinter dem zurück, was möglich ist. Die Einleitung „Ziel unserer Drogen- und Suchtpolitik ist die Reduzierung des Konsums legaler und illegaler Suchtmittel sowie die Vermeidung der drogen- und suchtbedingten Probleme in unserer Gesellschaft“ beschreibt die Notwendigkeiten eindeutig, aber das ist mit Prävention alleine nicht zu erreichen. Wenn ganz oben auf der Agenda die „Prävention und Gesundheitsförderung“ stehen, dann ist das ein wichtiger Teil. Aber die Verhaltensprävention muss ergänzt werden durch eine Verhältnisprävention. Deren Maßnahmen, wie zum Beispiel die Einschränkung der Verfügbarkeit durch Altersgrenzen für Kinder und Jugendliche; durch Verringerung der Öffnungszeiten; durch Einflussnahme auf die Preisgestaltung; durch eine Einführung der Null-Promille-Grenze im Straßenverkehr, werden nicht einmal erwähnt.
„Die vorliegende Nationale Strategie versteht sich als gesundheitspolitische Leitlinie für eine moderne Sucht- und Drogenpolitik in Deutschland“, so lobt man sich selbst in der Einleitung. Aber wer sagt denn, was eine „moderne Politik“ ist? Ist es das Gleiche wie eine „erfolgreiche Politik“? Oder eine „wissenschaftlich fundierte Politik“? Dann müsste die Strategie anders aussehen. Während es im Koalitionsvertrag von 2009 heißt: „Unsere Sucht- und Drogenpolitik stellt Prävention, Therapie, Hilfe zum Ausstieg und die Bekämpfung der Drogenkriminalität in den Mittelpunkt“, heißt es nun in der Nationalen Strategie, basierend auf der Formulierung im Koalitionsvertrag: „Der Mensch im Mittelpunkt“. Während Maßnahmen der Schadensminimierung wirklich noch dazu gekommen sind, blieb die „Verringerung der substanzbezogenen Schäden und Störungen“ auf der Strecke. Banaler geht es nicht mehr.
Was die Strategie auszeichnet, ist eine durchgängig industriefreundliche Haltung. Beispielsweise sei nur das Ziel 3: Kinder und Jugendliche vor Alkoholwerbung schützen, angeschaut. Ganz abgesehen davon, dass Werbung für ein gefährliches Produkt generell verboten sein sollte, so heißt die zu diesem Ziel gehörende Maßnahme: „Evaluation der Effektivität der Werbeselbstkontrolle in Deutschland durch ein unabhängiges Gremium.“ Eine durch die Bundesregierung finanzierte Studie des IFT Nord kommt zu dem eindeutigen Ergebnis, dass Alkoholwerbung zu höherem Konsum bei Kindern und Jugendlichen führt. Aber wahrscheinlich werden eigene Untersuchungen nicht gelesen oder nicht geglaubt.
Dabei stellt sich dann auch die Frage, wie es die Bundesregierung mit ihrer Mitgliedschaft in der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und den dort gefassten Beschlüssen hält. Die „Global Strategy to reduce the harmful use of alcohol“ (Globale Strategie zur Reduzierung des gefährlichen Alkoholkonsums) wurde im Mai 2010 durch die Generalversammlung der WHO beschlossen. In Kürze erscheint die Europäische Fassung. Aber auch die wird durch diese Bundesregierung ignoriert werden.
Doch zum Schluss kann auch Positives berichtet werden: Der Begriff der Punkt-Nüchternheit, den die Guttempler in ihrem alkoholpolitischen Programm von 1978 das erste Mal erwähnt haben, findet erstmals Eingang in eine Nationale Strategie. Punkt-Nüchternheit am Arbeitsplatz und während der Schwangerschaft und Stillzeit – das kann noch ausgeweitet werden, aber der Einstieg ist richtig.
Die Strategie kann hier nachgelesen werden und der interessierte Leser sollte darüber das Gespräch mit seinen Abgeordneten suchen.