Weinköniginnnen küren, zu Botschafter*innen des Bieres ernannt werden, Oktoberfest-Eröffnungen, dort sind Politiker*innen gern in der ersten Reihe dabei – und kein Parteitag findet ohne Sponsoring durch Alkoholproduzent*innen statt. Wenn es jedoch um unbeliebte Entscheidungen zum gesundheitlichen Schutz der Bevölkerung vor Alkoholschäden geht, bleibt der Plenarsaal eher leer.
Am 3. März 2021 findet um 14.30 Uhr jedoch eine öffentliche Anhörung zu zwei Anträgen der Opposition statt, die sich mit dem unbequemen Thema Alkohol befassen:
Rolf Hüllinghorst, ehemaliger Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), hat sich beide Anträge angesehen und seine Beurteilung den beteiligten Abgeordneten zukommen lassen.
1. Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die sehr vorsichtig formulierte Ausgangssituation des Antrages liegt weit hinter den bereits im Bundestag dargestellten und formulierten Situationsbeschreibungen zu den Themen Alkohol, Alkoholkonsum, Alkoholprävention und Behandlung der Alkoholkonsumstörungen zurück.
Bereits 2005 konnte das Buch der renommiertesten Suchtforscher aus aller Welt »Alcohol and the public good« durch eine Zuwendung der Bundesregierung unter dem Titel »Alkohol – kein gewöhnliches Konsumgut« in deutscher Sprache publiziert werden. Die evidenzbasierten Aussagen dieser zusammengetragenen Untersuchungen sind bis heute nur an einem Punkt zu korrigieren: Alkohol ist, insbesondere im Bereich der Krebserkrankungen, gefährlicher, als es damals noch angenommen wurde. Das bedeutet, dass es zwar immer noch Trinkmengenempfehlungen für einen sogenannten »risikoarmen« Konsum gibt, die Krebsforscher heute aber davon ausgehen, dass es keinen risikoarmen Konsum gibt.
Deshalb liegen weiterhin alle Vorschläge auf dem Tisch, wie sie auch in den unterschiedlichen Stellungnahmen, insbesondere von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, dem Deutschen Krebsforschungszentrum und der TU Dresden vorgelegt werden, und warten auf die Umsetzung.
Da sich der Antrag auch mit den europäischen Perspektiven befasst, kann man hier eine Duplizität der Ereignisse feststellen. Sowohl in Deutschland als auch auf der europäischen Ebene wurde in den Jahren bis 2017 intensiv daran gearbeitet, Maßnahmen zu erarbeiten und zu hierarchisieren, die den Alkoholkonsum in Deutschland und der EU reduzieren könnten. Aber sowohl in der EU als auch in Deutschland kam die Arbeit zum Erliegen, da es schlussendlich keine politischen Mehrheiten gab. Geschuldet war dies nicht in erster Linie politischen Überzeugungen, sondern wirtschaftlichen Überlegungen, die sowohl über das Landwirtschaftsministerium (Wein, Hopfen, Weizen, Gerste und andere landwirtschaftliche Produkte werden zu alkoholischen Getränken verarbeitet) als auch das Wirtschaftsministerium (Alkohol als Konsum- und Wirtschaftsgut) transportiert wurden.
»Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt«, so steht es im Grundgesetz.
Aber bei allen Diskussionen der letzten Jahre muss man den Eindruck haben, dass den betriebswirtschaftlich gerechneten Interessen der Brauer, Winzer und Brenner der Vorzug gegenüber den weitaus höheren volkswirtschaftlich entstehenden Kosten durch übermäßigen Alkoholkonsum gegeben wird. Wirtschaftliche Interessen vor gesundheitlichen Notwendigkeiten.
Um kurzfristig den Alkoholkonsum und damit auch die alkoholbedingten Schäden zu senken, könnten in ersten Schritten folgende Maßnahmen umgesetzt werden:
Verfügbarkeit
- Verkauf von alkoholischen Getränken über 10 % Alkoholgehalt in eigenständigen Ladenteilen,
- Kein Alkoholverkauf außer Haus zwischen 24.00 Uhr und 6.00 Uhr,
- Anhebung des Abgabealters von alkoholischen Getränken auf 18 Jahre.
Preis
- Besteuerung alkoholischer Getränke nach Alkoholgehalt – keine Sonderrolle für Wein.
Alkohol am Steuer
- Kurzfristige Senkung der Promillegrenze von 0,5 auf 0,3 Promille.
Werbung
- Keine Werbung für ein gefährliches Produkt, insbesondere nicht an Plätzen, an denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten und in Medien, die Kindern und Jugendlichen zugänglich sind.
Deklarationen
- Wenn schon alkoholische Getränke dem Lebensmittelgesetz zugeordnet sind, dann müssen die gleichen Regelungen wie für andere Produkte gelten. In diesem Fall genaue Deklarationen des Inhalts, nicht nur des Alkoholgehalts.
Um die Diskussion weiter zu führen, werden die Ministerien aufgefordert dafür zu sorgen, dass der Prozess im Rahmen des Präventionsgesetzes und der gesundheitsziele.de »Alkoholkonsum reduzieren« wieder aufgenommen und zielgerichtet fortgeführt wird.
2. Antrag der FDP-Fraktion
Das Thema der Kinder, die mit Schäden aufgrund des Alkoholkonsums der Mutter geboren werden, ist überaus wichtig. Kurzfristig gibt es zwei Ansätze, sich bei diesem Thema adäquat zu verhalten.
Die wichtigste und erfolgversprechendste Maßnahme – natürlich nicht nur in Bezug auf eine frühkindliche Schädigung – ist ein Aufdruck: »Alkohol schädigt das ungeborene Leben« mit einem entsprechenden Symbol auf jeder Flasche alkoholischer Getränke.
Die zweite Maßnahme ist die Verpflichtung der entsprechenden Fachverbände, sich dieses Themas anzunehmen. Ärztinnen und Ärzte haben den Versorgungsauftrag auch für diese Krankheitsbilder (bei Mutter und Kind). Ebenso betrifft dies die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, die entsprechend zu beauftragen und zu unterstützen sind.