Das Bild zeigt ein Schild mit verschiedenen Gesundheitshinweisen vor einem blauen Himmel mit weißen Wolken. Auf dem braunen Schild stehen die englischen Aufforderungen 'Live Healthy', 'Drink Water', 'Eat Well', 'Relax More' und 'Be Active'. Das Schild soll dazu motivieren, einen gesunden Lebensstil zu pflegen, indem man Wasser trinkt, sich gesund ernährt, entspannt und aktiv ist.

Das Wissenschaftliche Kuratorium der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), dem besonders renommierte Wissenschaftler*innen aller für die Abhängigkeit relevanten Disziplinen angehören, hat ein neues Positionspapier mit »Empfehlungen zum Umgang mit Alkohol« erarbeitet. Der Vorstand der DHS, dem im Wesentlichen die Vertreter*innen der auf dem Arbeitsfeld tätigen Verbände angehören, hat diesem Papier zugestimmt und in der Zwischenzeit wurde es in der Zeitschrift »SUCHT 2/2024« veröffentlicht.

Aus meiner Sicht ist es eines der wichtigsten Papiere des Arbeitsfeldes der letzten Jahre. Mit der Aussage »Jeder Alkoholkonsum ist schädlich« stellt es auf der einen Seite neue Anforderungen an die einzelnen Menschen und die individuelle Prävention. Auf der anderen Seite bedeutet es eine noch engere Verzahnung mit den Bemühungen um die öffentliche Gesundheit und die damit verbundenen gesellschaftliche Aufklärung.

Neue Empfehlungen zum Umgang mit Alkohol

Gruppe junger Menschen im Freien beim Anstoßen mit Bierflaschen.

Das Wissenschaftliche Kuratorium der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) hat neue Empfehlungen zum Umgang mit Alkohol herausgegeben. Bisher galt für gesunde Menschen eine maximale Trinkmenge von 24 Gramm Reinalkohol pro Tag bei Männern und 12 Gramm bei Frauen als »risikoarmer Konsum«.

Übersehene Entwicklungen von großer Bedeutung

Ich habe den Eindruck, dass dieses Positionspapier eine große Bedeutung erhalten wird, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so daherkommt und sicherlich noch viel Öffentlichkeitsarbeit erforderlich ist, um es in seiner Tragweite bekannt zu machen.

Dazu nur ein Beispiel: Seit einer Ewigkeit beschäftige ich mich mit dem Thema Alkohol und Sucht. Immer wieder begegnet mir auf Veranstaltungen, in Vorträgen oder in Referaten, die Aussage, dass die Entwicklung der Suchtkrankenhilfe mit dem Urteil des Bundessozialgerichtes aus dem Jahre 1968 so richtig begonnen habe. Denn dort sei geurteilt worden, dass »Alkoholismus eine Krankheit ist«. Das stimmte so nie, denn in der Klassifikation der Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) war Sucht schon lange als Krankheit definiert. Aber irgendwann habe ich es aufgegeben, diese Aussage zu korrigieren, so hatte sie sich in den Köpfen, insbesondere der Behandler*innen, festgesetzt.

Fakt ist aber, dass dieses Urteil von 1968 festschrieb, dass »Trunksucht« eine Krankheit und ärztlich zu behandeln sei. Damit war der Klage des Sozialamtes Dortmund stattgegeben worden, dass eine entsprechende Behandlung von der Renten- beziehungsweise Krankenversicherung zu bezahlen sei. Es ging nicht in erster Linie um die Krankheit, sondern um das Geld für die Behandlung.

Dann hat es zwar noch 10 Jahre gedauert, bis eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet wurde, aber das Hilfesystem für suchtkranke Menschen wurde massiv ausgebaut, und für die dann einsetzende »Drogenwelle« konnten sowohl die finanztechnischen Regelungen als auch die bis dahin entwickelten therapeutischen Standards übernommen werden.

Was mich in Gesprächen mit Menschen, die diese Zeit miterlebt und mitgestaltet haben, immer wieder wunderte, war, dass sie mir glaubhaft versicherten, ihnen sei 1968 die Wichtigkeit dieses Urteils nicht aufgegangen. Insbesondere von den Selbsthilfe- und Abstinenzverbänden war diese Entwicklung zunächst überhaupt nicht zur Kenntnis genommen beziehungsweise in ihrer langfristigen Wirkung erkannt worden.

Als ich nun in der Zeitschrift SUCHT 2/2024 (und auch im Jahrbuch SUCHT 2024) die »Empfehlungen zum Umgang mit Alkohol« las, musste ich an das wegweisende Urteil von 1968 denken und daran, wie lange es gedauert hat, bis es verstanden, eingeordnet und umgesetzt wurde. Mit diesem Artikel möchte ich versuchen, die Wichtigkeit der Publikation »Empfehlungen zum Umgang mit Alkohol« zu betonen und sie den Leser*innen ans Herz zu legen. Nicht nur zum Lesen, sondern auch zum Weitersagen.

Der Kampf um gepflegte Vorurteile beginnt von Neuem

Beim Thema »Empfehlungen zum Umgang mit Alkohol« wird es ganz andere Konstellationen geben. Die Suchthilfeverbände werden sagen, dass sie genug damit zu tun haben, Menschen zu helfen, die ihren Konsum nicht kontrollieren können. Die Selbsthilfeverbände werden die Aussage der Anonymen Alkoholiker (AA) aus der Mottenkiste holen, dass man für seinen Konsum selbst verantwortlich sei, und – wie bei jeder möglichen Einschränkung – wird es in der Öffentlichkeit tönen, dass man schon selbst wisse, was gut und richtig für eine*n sei.

Da könnte man sagen: Das ist sehr pessimistisch gedacht. Aber der stärkste Gegner, wenn es um die Reduzierung von Trinkmengen alkoholischer Getränke geht – individuell und gesellschaftlich – überlegt schon jetzt sehr intensiv, wie er die Begründungen, dass »jeder Alkoholkonsum schädlich« ist angreifen, bezweifeln und widerlegen kann. Das ist die Alkoholindustrie, die auf allen Ebenen mobilisieren wird. Angefangen bei den Erzeuger*innen und Produzent*innen, weiter bei denen, die alkoholische Getränke verkaufen und entsprechende Dienstleistungen erbringen. Eine Zusammenarbeit unterschiedlichster Branchen, die ihre Wirksamkeit durch Lobbyismus immer wieder unter Beweis gestellt hat.

Trinkmengenempfehlungen

Mehrfach wurden von nationalen Stellen oder Verbänden in fast allen Ländern Trinkmengenempfehlungen herausgegeben, um die durch Alkoholkonsum verursachten individuellen und gesellschaftlichen Schäden zu reduzieren. Diese Empfehlungen waren in den Ländern sehr unterschiedlich, hatten sie doch nicht nur mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu tun, sondern waren immer auch Ausdruck des gesellschaftlichen Umgangs, der herrschenden Sitten und Normen und waren demzufolge Gegenstand von Aushandlungsprozessen. Immer stand die Situation des riskanten und abhängigen Konsums und dessen Beeinflussung im Mittelpunkt.

So lauteten die letzten Empfehlungen der DHS aus dem Jahr 2008 maximal 24 Gramm reinen Alkohol pro Tag für Männer und 12 Gramm pro Tag für Frauen. Eine Empfehlung, die von vielen Menschen, vor allem den Hochkonsument*innen, nicht ernst genommen wurde, obwohl sie damals gut begründet war.

In einem Zwischenschritt beschloss das Wissenschaftliche Kuratorium 2019, dass

Alkoholkonsum von jeder Person reduziert werden sollte, unabhängig davon, wie viel sie trinkt. Am besten ist es, keinen Alkohol zu sich zu nehmen. Alkoholische Getränke bergen Risiken, wenn es um die physische Gesundheit der Menschen geht.«

Gründe für die neuen Empfehlungen

Wissenschaft forscht und bleibt nicht stehen. Das wird heute zwar immer häufiger bezweifelt und die Meinung, dass man nicht alles glauben darf, findet immer mehr Befürworter*innen. Aber es handelt sich hier nicht um Glauben, sondern um Wissen. In der Zeitschrift Sucht erläutern die Autor*innen, dass es der »Stand der Wissenschaft« sei, der neue Empfehlungen erforderlich mache. Sie zitieren dabei eine Publikation von Prof. Dr. Ulrich John, der sich in Lübeck und Greifswald vor allen Dingen mit Forschungen zur öffentlichen Gesundheit beschäftigt und Prof. Dr. Karl-Helmut Seitz, der sich als Mediziner insbesondere um alkoholbedingte innere Krankheiten mit dem Schwerpunkt Krebserkrankungen beschäftigt.

Es sind zwei Aspekte, die jetzt zu neuen Empfehlungen führten: Einmal wurden alle Forschungen zu den »gesundheitsfördernden Wirkungen« von Alkohol auf den Prüfstand gestellt und keine hielt den Anforderungen an seriöse Forschung stand. Es wurde deutlich, worin Grenzen älterer Studien lagen. Dann führte die wissenschaftliche Entwicklung dazu, dass Erkrankungswahrscheinlichkeiten in Bevölkerungen immer zuverlässiger bestimmt werden können. Diese Entwicklung führte dazu, dass Risiken für die körperliche und psychische Unversehrtheit sowie der Überlebenszeit für Menschen feiner differenziert werden konnten.

Auch bei geringen Trinkmengen bestehen erhöhte Wahrscheinlichkeiten für Krankheiten und vorzeitigen Tod.«

Schlicht formuliert: Wenn wir wissen, wie sich eine Situation darstellt, dann müssen wir das auch sagen. Und sagen muss man: Auch bei geringen Trinkmengen bestehen erhöhte Wahrscheinlichkeiten für Krankheiten und vorzeitigen Tod im Vergleich zu Menschen, die lebenslang oder viele Jahre ohne Alkohol leben.

Alkoholprobleme sind nicht auf Abhängigkeit beschränkt

Wenn über Probleme im Umgang mit Alkohol gesprochen wird, so ist es ganz einfach, mit dem Finger auf andere Menschen zu zeigen. Immer gibt es jemanden, der oder die mehr Alkohol trinkt. Dabei ist der eigene Konsum (immer) kontrolliert und – relativ – gering. Aber es ist doch einfach: Eine Abhängigkeit ist behandlungsbedürftig, der Alkoholkonsum ist eben nicht kontrollierbar und führt zu persönlichen Schäden und beeinträchtigt das Umfeld.

Doch das ist nicht mehr die allein relevante Aussage. Alkoholische Getränke schädigen auch in geringen Mengen und für eine gesunde Lebensweise ist es notwendig, den eigenen Konsum zu hinterfragen und – das ist das Beste – in jeder Situation zu reduzieren.

Schon die Abstinenzbewegung hatte Recht

Es ist schon lange her. Im Jahre 1906 fand in Bremen ein internationaler Kongress zur Alkoholfrage statt. Geprägt wurde dieser Kongress durch die Auseinandersetzung zwischen der Abstinenzbewegung und ihren Verbänden und der »Mäßigkeitsbewegung«, die sich nicht die Reduzierung des Konsums zum Ziel gesetzt hatte, sondern lediglich die sichtbaren Auswirkungen des Konsums reduzieren wollte. Das sollte durch Empfehlungen zur Getränkeart, wie zum Beispiel nur Leichtbiere und kein Branntwein, geschehen. Bei einer solchen Einstellung konnte auch die Alkoholindustrie zufrieden sein, da waren Sprecher*innen der Mäßigkeitsvereine durchaus Repräsentant*innen von Alkoholproduzent*innen. Problematischer Konsum wurde individualisiert und hatte nichts mit der eigenen Haltung zu tun.

Spätestens jetzt wissen wir aber, dass es nicht nur um unsere Empfehlungen für andere Menschen geht, sondern dass diese Empfehlungen immer auch auf diejenigen zutreffen, die sie aussprechen.

Die »guten Ratschläge« haben ausgedient

Es gibt sie immer noch: Ärzt*innen, die ihren Patient*innen falsche Ratschläge zum Umgang mit Alkohol geben. Ich muss sie hier nicht aufführen, aber sie lassen mir manchmal die Haare zu Berge stehen, weil es sich nicht um wissenschaftlich oder zumindest medizinisch begründete Ratschläge handelt, sondern eher um »Lebensweisheiten«, die sich in der Regel am eigenen Alkoholkonsum orientieren. Die WHO sagt »Weniger ist besser«. Die Konsumempfehlungen der DHS widersprechen dem nicht – wie sollte auch – sondern gehen weiter und lauten: »Kein Alkohol ist besser«.

Besser als in der ebenfalls in SUCHT 2/2024 erschienenen Arbeit des Wissenschaftlichen Kuratoriums der DHS kann man es nicht zusammenfassen:

  1. Ergebnisse der Wissenschaft zeigen zunehmend, dass es keinen potenziell gesundheitsförderlichen und keinen sicheren Alkoholkonsum gibt.
  2. Auch geringe Trinkmengen können zur Verursachung von körperlichen Krankheiten beitragen.
  3. Eine neue Leitlinie für den Umgang mit Alkohol sollte in Übereinstimmung mit anderen internationalen Empfehlungen an folgenden Aussagen ausgerichtet sein: Zur Verbesserung der physischen Gesundheit sollte der Alkoholkonsum reduziert werden, unabhängig davon, wie hoch die Trinkmenge ist. Für die körperliche Gesundheit ist es am besten keinen Alkohol zu trinken.

Das Eintreten für eine Lebensweise ohne Alkohol wird einfacher

Das ist für mich ein nicht zu unterschätzendes Argument: Die Konsumempfehlungen und insbesondere die zugrunde liegenden Untersuchungen und Argumentationen machen Menschen mit geringem oder keinem Alkoholkonsum das Leben leichter. Es gibt nicht mehr dieses »Ja – aber« oder »Warum denn nicht?« und den Hinweis auf eigene Erfahrungen, schlechte Beispiele, auf andere Länder oder andere Ernährungsgewohnheiten. Diese Diskussionen sind hinfällig. Die Alkoholkonsummengen werden sich zwar nicht von heute auf morgen signifikant verändern – aber es wird in Zukunft leichter zu argumentieren sein und der Konsum wird sinken.

Weniger Alkohol für mehr Gesundheit

Die Diskussion um das persönliche Alkoholkonsumverhalten muss eingeordnet werden in die Bemühungen um eine gesündere Lebensweise. Prof. Dr. John betont in einem Interview, ebenfalls veröffentlicht in der Nummer 2/2024 der Zeitschrift SUCHT, dass es ihn immer interessiert habe, einfache Wege zu finden, um die Morbidität und die Mortalität, also die Krankheitslast und die Todesrate, zu senken. Und er sagt wörtlich:

Die Arbeiten der letzten Jahre bestätigen unter anderem etwas sehr Simples: Tabakrauchen, Alkohol trinken, körperliches Übergewicht und Bewegungsmangel bilden einen Summenwert, gleichgültig, wie differenziert man ihn bildet. Dieser Summenwert sagt sehr zuverlässig das Sterberisiko und die verbleibende Lebenszeit vorher. Tabakrauchen und Alkoholkonsum scheinen dabei ein besonders hohes Gewicht zu haben. Die vier gesundheitsriskanten Verhaltensweisen sollten alle in einem Interventionsansatz adressiert werden. Erfolg wird nur über Wege in der gesamten Bevölkerung eintreten.«

Und, das sollte man noch dazu setzen: Wer danach leben möchte, kann sein Glück selbst gestalten.

Dank

Ein solches Papier wie die »Empfehlungen zum Umgang mit Alkohol« kann nicht einfach mal so niedergeschrieben werden. Es ist das Ergebnis jahrzehntelanger Bemühungen in Wissenschaft, Verbänden und Institutionen. Es ist nicht nur das wissenschaftliche Interesse an einem Thema, sondern es ist das Zusammenspiei von Wissen, Forscherdrang und Haltung. Es ist das Ergebnis von Menschen, die sich zwar in einem institutionellen Rahmen gefunden haben, die aber das Inhaltliche auch zu ihrer persönlichen Aufgabe gemacht haben. Dabei müssten viele Namen genannt werden. Auf jeden Fall aber der von Prof. Dr. Ulrich John, der es in exzellenter Weise verstanden hat, seine wissenschaftliche Expertise in mühsamer Gremienarbeit der Suchtforschung und der Gesundheitsförderung verfügbar zu machen. Ihm und allen anderen Beteiligten einen herzlichen Dank dafür.

Und noch eine*r …

Inzwischen empfiehlt auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) eine alkoholfreie Lebensweise:

Neue Empfehlungen der Gesellschaft für Ernährung zum Alkoholkonsum

Nahaufnahme mehrerer leerer Weingläser in drei Reihen hintereinander.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat in einer neuen Stellungnahme ihre bisherigen Empfehlungen zum Umgang mit Alkohol ersetzt. Sie folgt damit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, die zeigen, dass es keine gesundheitlich sichere Menge an Alkohol gibt, die einen unbedenklichen Konsum ermöglicht. Die DGE empfiehlt daher, auf alkoholische Getränke zu verzichten. Wer dennoch alkoholische Getränke zu sich nimmt, sollte vor allem hohe Alkoholmengen vermeiden. Dies gilt insbesondere für junge Menschen. Kinder, Jugendliche, Schwangere und Stillende sollten generell alkoholfrei leben.

In einem Sonderdruck der »Ernährungs-Umschau« mit dem etwas gestelzten Titel »Alkohol-Zufuhr in Deutschland, gesundheitliche sowie soziale Folgen und Ableitung von Handlungsempfehlungen« möchte die DGE nicht nur Handlungsempfehlungen für das individuelle Alkoholkonsumverhalten geben, sondern auch Hinweise für gesundheitspolitische Maßnahmen, die zur Minimierung gesundheitlicher Schäden in der Bevölkerung beitragen.

Quelle: TrokkenPresse Nr. 4/2024