Eine neue Studie belegt, dass die Alkoholindustrie die Öffentlichkeit über die Krebsrisiken ihrer Produkte in die Irre führt.
Die neue Studie zeigt, dass die Alkoholindustrie und ihre Lobbygruppen wissenschaftliche Erkenntnisse über alkoholbedingte Krebsrisiken falsch darstellen. Die dabei verwendeten Taktiken ähneln dabei sehr denen der Tabakindustrie, stellt das unlängst im »Drug and Alcohol Review« veröffentliche Forscherteam fest.
Die wissenschaftliche Gemeinde kennt die krebserregenden Wirkungen von Alkohol seit den 80er Jahren,« sagt Kristina Šperková, Präsidentin von IOGT International.
»Dennoch sind die breite Öffentlichkeit und politische Entscheidungsträger weitgehend ahnungslos über den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Krebs.«
Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), eine Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation WHO, stuft Alkohol seit 1988 als Kategorie-1- Karzinogen ein, auf gleicher Stufe wie Asbest und Tabak.Die IARC schätzt, dass Alkohol die Ursache von 8 % aller Krebsfälle ausmacht. Nach Tabak (18 %) ist Alkohol das zweithäufigste Krebsrisiko.
Gleichwohl ist das Bewusstsein über die Krebsrisiken bei der Bevölkerung verschwindend gering. In Europa kennt nur jeder Zehnte diese Fakten und nur 20 % glauben überhaupt, dass es einen Zusammenhang zwischen Krebs und Alkohol gibt. In den Vereinigten Staaten wissen weniger als 40 %, dass Alkohol Krebs verursachen kann, obwohl die Zahl der wissenschaftlichen Belege dafür zugenommen hat. Dies wenig ausgeprägte Wissen hat sich außerdem über die letzten 16 Jahre noch eher verringert, von 42 % im Jahr 2001 auf 39 % in 2016.
Wir wissen, dass die öffentliche Unterstützung für wirksame alkoholpolitische Maßnahmen wächst, je bekannter der Zusammenhang zwischen Alkohol und Krebs wird,« erklärt Kristina Šperková.
»So hat die Alkoholindustrie gute Gründe uns im Dunkeln zu lassen und schützt darum nicht nur das Image ihrer Produkte, sondern auch deren weithin unregulierten Status sowie ihre Profite.«
Weglassen, verzerren, ablenken – die Krebsstrategie der Alkoholindustrie
Die Londoner Hygiene- und Tropenmedizinhochschule hat gemeinsam mit dem Stockholmer Karolinska-Institut die Informationen analysiert, die 27 von der Alkoholindustrie finanzierte Organisationen und Einrichtungen verbreitet hatten. Die Forscher untersuchten bis zu welchem Grad die Alkoholindustrie die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Alkohol und Krebs für Konsumenten vollständig und korrekt vermittelt.
Die Studie benennt drei wesentliche Industriestrategien:
- Leugnung oder Bestreiten jeglicher Verbindung mit Krebs, oder gezieltes Weglassen dieses Zusammenhangs.
- Verzerrung: gewisses Krebsrisiko erwähnen, aber Art und Ausmaß des Risikos falsch angeben oder verschleiern, und
- Ablenkung: die Diskussion von den unabhängigen Alkoholwirkungen weglenken auf allgemeine Krebserscheinungen.
Eines der wichtigsten Ergebnisse ist, dass in dem Material der Alkoholindustrie besonders die Erkenntnisse zu Brust- und Darmkrebs entweder ganz weggelassen oder verfälscht wiedergegen werden, vermutlich weil diese Krebsarten zu den meistverbreiteten gehören.
Alle großen Alkoholproduzenten beteiligt
Die untersuchten Lobbygruppen der Alkoholindustrie gehören alle zum Who is Who der weltweiten Branche, darunter die Internationale Allianz für verantwortungsvolles Trinken (IARD), spiritsEurope, Brewers of Europe, DISCUS, Drinkaware (bewusst trinken), Drinkwise (schlau trinken), die Portmann-Gruppe, die Stiftung für verantwortungsbewussten Alkoholfortschritt, Wein in Maßen, sowie die Vereinigung für verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol (ARA). Die Studie untersuchte auch Informationen von einigen der weltweit größten Alkoholproduzenten, darunter Pernod Ricard, Heineken, Diageo, Brown-Forman, SABMiller, Carlsberg, Bacardi, Asahi, Kirin, MolsonCoors, Beam Suntory und Jacob's Creek.
Eine feindselige Haltung zu unabhängiger Wissenschaft ist offensichtlich in der Industrie ein weitverbreitetes Problem,« meint Kristina Šperková.
»Diese Studie ist ein endgültiger Sargnagel für die Mythen der Alkoholindustrie, die Verantwortung und ernsthafte Besorgnis über die Schäden ihrer Produkte vorgeben.
Die neue Studie entlarvt eine Industrie, die immer wieder und vorsätzlich rund um die Welt ihre Profitinteressen rücksichtslos, unethisch und zutiefst zynisch verfolgt.«
Keine gewöhnliche Ware – keine gewöhnliche Industrie
Die neue Studie sollte in Regierungen, Gesundheitswesen, Verbänden, Medien und Universitäten weltweit Alarmglocken schrillen lassen. Die Forscher empfehlen Politikern und Gesundheitsbehörden ihre Beziehungen zur Alkoholindustrie zu überdenken.
Ferner legen die Untersuchungsergebnisse nahe, dass die Alkoholindustrie weder Gesundheitsempfehlungen erteilen noch in die alkoholpolitische Gesetzgebung eingreifen darf.
Außerdem zeigt die Studie, dass die Alkoholkonzerne ihren Aktionären die Risiken ihrer Produkte verheimlichen, was sie in einigen Ländern für Schadensersatzprozesse angreifbar machen könnte.
Medienmitteilung von IOGT International am 8. September 2017
IOGT International ist das erste weltweite Netzwerk für evidenzbasierte Politiklösungen und gemeindeorientierte Interventionen zur Verhütung und Reduzierung alkoholbedingter Schäden.