Die Strategien der Alkoholindustrie zur Beeinflussung nationaler Alkoholpolitiken wurden in zahlreichen Studien beschrieben. Dieses Papier untersucht den Einfluss der Industrie auf den Entwicklungsprozess des Globalen Aktionsplans Alkohol. Die Ergebnisse zeigen, dass viele der gleichen Taktiken auf globaler Ebene angewandt werden, einschließlich der Ablehnung einer evidenzbasierten Politik.
Autor:innen: Paula O'Brien, Robyn Dwyer, Deborah Gleeson, Megan Cook, Robin Room
Zitierung: Paula O'Brien, Robyn Dwyer, Deborah Gleeson, Megan Cook, Robin Room, Influencing the global governance of alcohol: Alcohol industry views in submissions to the WHO consultation for the Alcohol Action Plan 2022-2030, International Journal of Drug Policy, Volume 119, 2023, 104115, ISSN 0955-3959, https://doi.org/10.1016/j.drugpo.2023.104115
Quelle: International Journal of Drug Policy
Datum der Veröffentlichung: 5. August 2023
Einflussnahme auf die globale Steuerung von Alkohol: Die Ansichten der Alkoholindustrie in den Beiträgen zur WHO-Konsultation für den Alkohol-Aktionsplan 2022 – 2030
Highlights
- Die Akteur*innen der Alkoholindustrie bringen in globalen und nationalen politischen Foren ähnliche Argumente vor.
- Die Industrie behauptet, sie habe keinen Interessenkonflikt und sei für die politische Entscheidungsfindung unverzichtbar.
- Die Industrie spricht sich gegen globale Governance und für lokale Ansätze aus.
- Die Industrie unterstützt die Selbstregulierung und lehnt wirksame Maßnahmen ab.
- Es ist zu erwarten, dass sich die Industrie auch in Zukunft gegen eine Alkoholkonvention aussprechen wird.
Im Jahr 2020 führte das Sekretariat der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine offene Konsultation zur Entwicklung eines Alkoholaktionsplans durch, um die Umsetzung der Globalen Strategie zur Verringerung des schädlichen Alkoholkonsums der WHO aus dem Jahr 2010 zu »stärken«. In diesem Papier haben die Forscher*innen den Konsultationsprozess und die Beiträge der Öffentlichkeit genutzt, um die Perspektiven und Argumente der Alkoholindustrie in Bezug auf die globale Alkoholpolitik kritisch zu untersuchen.
Seit der Verabschiedung der Globalen Strategie im Jahr 2010 wurden umfangreiche Untersuchungen zu den Aktivitäten, Strategien und politischen Auswirkungen der Akteur*innen in der Alkoholindustrie durchgeführt. Angesichts der großen Besorgnis über den Einfluss kommerzieller Interessen auf die Entwicklung der Alkoholpolitik wurden die »politischen Praktiken« der Alkoholindustrie auf nationaler Ebene im Rahmen des Ansatzes »Kommerzielle Determinanten von Gesundheit« eingehend untersucht.
Die sieben Schlüsselbotschaften der Alkoholindustrie
Wann immer von »Alkoholmissbrauch« oder »verantwortungsvollem Alkoholkonsum« die Rede ist, hat die Alkoholindustrie den Text verfasst – entweder unmittelbar oder über ihre zahlreichen Lobbygruppen – und diese sind nicht allein die Zusammenschlüsse der Produzenten, sondern umfassen auch all jene, die vom Alkoholhandel profitieren: von der Gastronomie, Kulturstätten, Sportverbänden bis hin zu den Medien.
Damit richtet die Branche erfolgreich den Scheinwerfer auf die Konsument:innen und weg von der Schädlichkeit ihrer Produkte. Menschen, die gesundheitliche Probleme durch ihren Alkoholkonsum bekommen, sind nach dieser Lesart entweder ahnungs- oder verantwortungslos – also selbst schuld.
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Ein flexibles Drehbuch: Was verbindet die politischen Unternehmensstrategien der Alkoholindustrie und anderer gesundheitsschädigender Branchen?
Die Alkoholindustrie versucht seit langem, Einfluss auf die Gesundheitspolitik zu nehmen, die sie als Bedrohung für ihre Gewinne und Marktanteile ansieht. Das Gleiche gilt für die Tabakindustrie, die Industrie für ultrahochverarbeitete Lebensmittel und die Glücksspielindustrie, wobei über letztere weit weniger bekannt ist.
In einer systematischen Überprüfung von 20 derartigen Studien im Jahr 2018 kamen McCambridge et al. zu dem Schluss, dass »die Akteur*innen der Alkoholindustrie bei der Beeinflussung der nationalen Politikgestaltung hochgradig strategisch, rhetorisch ausgefeilt und gut organisiert sind« und dadurch »Normen« im »Interesse der kommerziellen Elite« prägen.
Die Methoden und Argumente, mit denen die Alkoholindustrie Einfluss auf die »Global Governance« des Alkohols nimmt, sind jedoch weit weniger erforscht. Dieses Papier soll daher zu einem besseren Verständnis beitragen:
- welche Akteur*innen der Branche sich auf dieser Ebene engagieren
- die Positionen, Argumente und Formulierungen, die sie vertreten, und
- ihre Auswirkungen auf die Entwicklung von alkoholbezogenen Normen in der WHO
Methodik
24 %
aller Beiträge kamen von der Alkoholindustrie oder dem privaten Sektor, der von der Alkoholindustrie profitiert.
Zu diesem Zweck analysierten die Forscher*innen alle Beiträge der Alkoholindustrie zur offenen Konsultation, die das WHO-Sekretariat im Jahr 2020 zur Entwicklung des Globalen Aktionsplans Alkohol durchführte. Eine weitere Konsultation wurde im Jahr 2021 durchgeführt, aber die Beiträge zu dieser Konsultation wurden von der WHO nicht veröffentlicht und können daher nicht analysiert werden.
Die meisten Beiträge kamen von gesundheitsbezogenen Organisationen der Zivilgesellschaft (44 %), aber auch die Alkoholindustrie (beziehungsweise der private Sektor, der von der Alkoholindustrie profitiert) trug mit einer beträchtlichen Anzahl von Beiträgen bei (24 %).
Vier Hauptargumente der Alkoholindustrie
Mit Hilfe einer gezielten Inhalts- und Themenanalyse identifizierten die Forscher*innen vier Schlüsselthemen in den Beiträgen der Alkoholindustrie:
1. Die positive Rolle der Industrie in der Alkoholpolitik und ihr Beitrag für die Gesellschaft
Dies ist das durchgängigste und am häufigsten wiederkehrende Argument in den Stellungnahmen der Alkoholindustrie. In 89,5 % der Stellungnahmen wird das WHO-Dokument kritisiert, weil es ihrer Meinung nach die Industrie von der globalen Alkoholpolitik ausschließt. In vielen Stellungnahmen (62,5 %) wird die Idee eines Konflikts zwischen den Interessen der Alkoholindustrie und der öffentlichen Gesundheit zurückgewiesen. Die meisten Beiträge (83 %) versuchten auch, ihre Behauptungen über die Bedeutung ihrer Einbeziehung in den Prozess zu untermauern, indem sie versuchten, ihren wichtigen Beitrag zu den Bemühungen um die Verringerung alkoholbedingter Schäden für die öffentliche Gesundheit hervorzuheben.
Der Hauptzweck der Beiträge der Industrie zur Konsultation für 2020 scheint darin zu bestehen, den Platz der Industrie in der laufenden Arbeit der WHO im Zusammenhang mit dem Aktionsplan Alkohol und der globalen Strategie zu sichern.«
2. Die Einstufung des Alkoholproblems als Schadensproblem und nicht als Konsumproblem
Ein vorherrschendes Argument in den Beiträgen der Akteur*innen der Alkoholwirtschaft (79,5 %) war die Forderung, der Aktionsplan solle sich auf die »Verringerung des schädlichen Alkoholkonsums und nicht auf den Konsum« konzentrieren. Die zentrale Bedeutung dieser Formulierung für die Akteur*innen der Alkoholindustrie spiegelte sich in ihrer Positionierung und Hervorhebung in den Beiträgen wider – sie wurde entweder auf der ersten Seite erwähnt, als erstes »Anliegen« der einreichenden Organisation genannt oder in einem eigenen Abschnitt des Beitrags durch die Verwendung von Zwischenüberschriften oder fettgedruckten/unterstrichenen Text hervorgehoben. In den Einreichungen der Alkoholindustrie wurde ein nicht »übermäßiger« Alkoholkonsum als unproblematisch bezeichnet. Im Falle des Weinkonsums wurde er sogar als »Teil einer gesunden Ernährung und Lebensweise« dargestellt.
3. Die Ablehnung von Global Governance-Ansätzen in der Alkoholpolitik
Die Mehrheit (62 %) der Vertreter*innen der Alkoholindustrie sprach sich gegen eine Regulierung des Alkoholkonsums auf globaler Ebene aus und befürwortete stattdessen nationale und subnationale Antworten auf Alkoholprobleme, die den sozialen und kulturellen Gegebenheiten des jeweiligen Landes entsprechen. In mehreren Beiträgen wurde betont, dass es keinen »Einheitsansatz« für die Alkoholpolitik geben könne und dass die sozialen und kulturellen Unterschiede zwischen den Ländern unterschiedliche Ansätze erforderten.
4. Die Ablehnung der von der WHO bevorzugten Strategien der Alkoholpolitik
In der Hälfte der von der Alkoholindustrie eingereichten Beiträge wurde der Schwerpunkt auf die SAFER-Initiativen in Frage gestellt. [Anmerkung des Herausgebers: SAFER ist ein technisches Paket der WHO, das die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung evidenzbasierter alkoholpolitischer Maßnahmen unterstützt.] Besonders stark war der Widerstand gegen ein Verbot oder eine weitere staatliche Regulierung der Alkoholwerbung. In allen Beiträgen wurde die Auffassung vertreten, dass es sich bei den Akteur*innen der Alkoholindustrie um verantwortungsbewusste Werbetreibende handelt, die niemals an Kinder werben und in vielen Ländern äußerst wirksame Werbekodizes zur Selbstregulierung eingeführt haben.
Ähnlich den Argumenten auf nationaler Ebene
Die Beiträge zur Konsultation über die Strategie 2020 kamen von einem breiteren Spektrum von Wirtschaftsakteur*innen (einschließlich Alkoholhersteller*innen, Alkoholhandelsverbänden, Handelskammern und Marketingorganisationen) als bei der Verabschiedung der Globalen Strategie im Jahr 2010. Diese Akteur*innen verwendeten Argumente, die in der politischen Praxis der Industrie auf nationaler Ebene verwendet werden (wie in früheren Studien gezeigt wurde).
Bei der Analyse stellten die Forscher*innen fest, dass die Beiträge viele der »Strategien zur Politikgestaltung« widerspiegeln, die in früheren Studien beschrieben wurden. Einige der Schlussfolgerungen, die in diesem Papier gezogen werden, sind folgende:
- Das Hauptanliegen der Alkoholindustrie bei der Konsultation scheint zu sein, ihren Platz am Tisch zu behalten. Dies ist »eine seit langem bestehende Strategie der Politikgestaltung, die in vielen verschiedenen politischen Foren auf nationaler Ebene vorgebracht wird, zusammen mit den damit verbundenen Argumenten, dass die Akteure der Industrie verantwortungsbewusste und wichtige Wirtschaftsakteure sind«.
- Die Alkoholindustrie verwendet das Framing des politischen Problems als schädlichen Alkoholkonsum durch eine kleine Untergruppe von Menschen, die viel Alkohol trinken. Frühere Studien haben die wiederholte Verwendung dieser Darstellung in nationalen politischen Foren dokumentiert. Dieses Framing »ermöglicht es der Industrie, sich für weniger wirksame politische Lösungen einzusetzen«.
- Die Alkoholindustrie lehnt evidenzbasierte alkoholpolitische Lösungen ab und fördert weniger wirksame Praktiken wie Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen (jedoch nicht mittels Gesundheitswarnungen), Selbstregulierungsmechanismen der Industrie und die persönliche Verantwortung für den Alkoholkonsum. Die von der Alkoholindustrie vorgeschlagenen Maßnahmen regulieren nicht das Verhalten der Akteur*innen in der Branche und »entlasten« sie nicht von ihrer Verantwortung, sondern präsentieren die Lösungen als »vermeintlich bessere Entscheidungen« der Verbraucher*innen.
Einfluss der Industrie auf den Globalen Aktionsplan für Alkohol
Die nächste zu analysierende Frage bezieht sich auf die Auswirkungen der Eingaben der Industrie auf die endgültige Fassung des Globalen Aktionsplans Alkohol.
Das Papier kommt zu dem Schluss, dass die Beiträge der Industrie nicht ohne Einfluss auf die Entwicklung des Aktionsplans waren. Auch wenn die Ergebnisse darauf hindeuten, dass die Industrie auf globaler Ebene in der WHO möglicherweise nicht so strategisch, rhetorisch ausgefeilt und gut organisiert ist wie bei der Beeinflussung nationaler politischer Entscheidungen.
Einige wichtige Erkenntnisse über den Einfluss der Alkoholindustrie sind:
- Die Alkoholindustrie hat weniger Einfluss auf die WHO als auf die Welthandelsorganisation (WTO), wo frühere Untersuchungen einen erheblichen Einfluss der Industrie auf die Handelspolitik der Regierungen ergeben haben.
- Der Industrie ist es gelungen, ihren Platz in der Global Governance der WHO zu behaupten, indem sie sich weiterhin an den Diskussionen über die Entwürfe des Globalen Aktionsplans Alkohol beteiligt und in jedem der sechs Aktionsbereiche des Aktionsplans eine Rolle spielt.
- Der Globale Aktionsplan Alkohol hat jedoch die Rolle der Industrie im Vergleich zur Globalen Strategie stark eingeschränkt und enthält nun mehr Warnungen vor den Gefahren einer Einmischung der Industrie in die Alkoholpolitik.
- Die Tatsache, dass die Alkoholindustrie in ihren Beiträgen zur 2020-Konsultation immer wieder betont, dass es um schädlichen Konsum und nicht um Konsum an sich gehen sollte, deutet darauf hin, dass die Industrie im Hinblick auf die öffentliche Gesundheit an Boden verliert.
- Dennoch wurde das Konzept des »schädlichen Konsums« in der verabschiedeten Fassung des Globalen Alkoholaktionsplans beibehalten 6ndash; mit einer ausführlichen Diskussion über die weit gefasste Bedeutung, die die WHO dem »schädlichen Konsum« beimisst und die soziale und wirtschaftliche Schädigung sowie die Schädigung anderer als der Person, die Alkohol konsumiert, einschließt.
- Das WHO-Regionalkomitee für Europa hat den Begriff »schädlicher Alkoholkonsum« aufgegeben und einen »Aktionsrahmen Alkohol« verabschiedet. Diese Formulierung wurde vom WHO-Hauptbüro in Genf akzeptiert und könnte die künftige Richtung der Alkoholpolitik auf globaler Ebene vorgeben.
Die Forscher*innen kommen zu dem Schluss, dass »die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass kommerzielle Unternehmen innerhalb der WHO aktiv sind und versuchen, globale Standards zum Thema Alkohol zu setzen. Im Zusammenhang mit dem Alkoholaktionsplan hat die WHO eine gewisse Fähigkeit bewiesen, dem Einfluss der Alkoholindustrie zu widerstehen.«
Quelle: MOVENDI International
Übersetzt mit www.DeepL.com