Aktivitäten im Bereich der sozialen Verantwortung von Unternehmen untergraben die Bemühungen zum Schutz der Gesundheit und zur Prävention alkoholbedingter Schäden, indem sie eine fragwürdige Debatte über eine unbestreitbar schädliche Substanz fördern. Eine neue Studie empfiehlt eine sorgfältige Überwachung, Regulierung oder sogar ein Verbot derartiger Praktiken der Alkoholindustrie in Portugal.
Autorinnen: Francisca Pulido Valente, Ana Carolina Baptista, Bárbara S. Vieira
Zitierung: Francisca Pulido Valente, Ana Carolina Baptista, Bárbara S. Vieira; Analysis of the Alcohol Industry’s Corporate Social Responsibility Practices in Portugal. Port J Public Health 2024; https://doi.org/10.1159/000540348
Quelle: Portuguese Journal of Public Health
Datum der Veröffentlichung: 29. Juli 2024
Analyse der Praktiken der Alkoholindustrie in Bezug auf die soziale Verantwortung von Unternehmen in Portugal
Einleitung
In der portugiesischen Kultur hat Alkohol, insbesondere Wein, einen hohen Stellenwert: Zahlen aus dem Jahr 2019 zeigen, dass der Pro-Kopf-Alkoholkonsum in Portugal mit 12,1 Litern pro Kopf gegenüber 9,5 Litern pro Kopf über dem Durchschnitt der Europäischen Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegt und dass der Weinkonsum mit 6 Litern pro Kopf gegenüber 2,3 Litern pro Kopf deutlich höher ist. In Portugal ist die Prävalenz des Alkoholkonsums in den letzten 30 Tagen (oder des aktuellen Alkoholkonsums) von etwa 49 % im Jahr 2017 auf etwa 55 % im Jahr 2022 gestiegen. Indikatoren wie die Prävalenz des Konsums im letzten Jahr, schwere Trunkenheit, riskanter Konsum, Abhängigkeit und Konsum bei Jugendlichen haben sich in diesem Zeitraum verschlechtert.
Wie andere Branchen, die mit gesundheitsschädlichen Produkten handeln, nutzt auch die Alkoholindustrie in Portugal Strategien der Corporate Political Activity (CPA), um die öffentliche Politik zu beeinflussen und zu gestalten, was die Umsetzung evidenzbasierter Maßnahmen zur Alkoholkontrolle im Bereich der öffentlichen Gesundheit, wie zum Beispiel die »Best Buys«, der WHO und die »SAFER«-Initiative, verzögern und zu dem oben beschriebenen Bild beitragen kann. Der operative Ansatz der Alkoholindustrie umfasst Maßnahmen, die nach ihrer Auffassung unter das Konzept der sozialen Verantwortung der Unternehmen (Corporate Social Responsibility, CSR) fallen. Das Hauptkonzept der CSR besteht jedoch darin, dass Unternehmen über die gesetzlichen Anforderungen hinaus Verantwortung für ihre Handlungen und deren Auswirkungen übernehmen, ethischem Verhalten Vorrang einräumen, Transparenz gewährleisten und zu nachhaltiger Entwicklung, Gesundheit und Wohlbefinden beitragen.
Der Ansatz der Alkoholindustrie im Bereich der sozialen Unternehmensverantwortung ist vielfältig und zielt im Allgemeinen darauf ab, alkoholbedingte Schäden zu reduzieren. Dazu gehören Aufklärung und Information über Alkohol, zum Beispiel Kampagnen in Schulen, die Gründung von Organisationen für soziale Öffentlichkeitsarbeit (SAPROs), Aktivitäten in den Bereichen ökologische Nachhaltigkeit und Wohltätigkeit sowie die Unterstützung von Sport, Musik und Kunst und Selbstregulierung. Diese Maßnahmen sind nicht nur eine Form der Eigenwerbung und ein Marketinginstrument, sondern können auch Regierungsentscheidungen beeinflussen und die Einführung strengerer Alkoholrichtlinien behindern. Die Zusammenarbeit der Alkoholindustrie mit Regierungen bei der Bekämpfung alkoholbedingter Schäden verschafft ihr beispielsweise eine Rolle in politischen Diskussionen und trägt letztlich zur gemeinsamen Gestaltung der Gesundheitspolitik bei.
Darüber hinaus besteht ein inhärenter Interessenkonflikt: Die Alkoholindustrie produziert, verkauft, bewirbt und profitiert von einem Produkt, das gesundheitliche Schäden und Leiden verursachen kann, während sie gleichzeitig Maßnahmen ergreift, die angeblich den Alkoholkonsum reduzieren sollen. Bisher wurden die Aktivitäten der Alkoholindustrie im Bereich der sozialen Verantwortung der Unternehmen in Portugal nicht untersucht. Das Ziel dieser Studie war es, diese Lücke zu schließen, indem die aktuellen CSR-Initiativen der Alkoholindustrie im portugiesischen Kontext identifiziert und aufgezeigt werden, wie diese Praktiken die Bemühungen des öffentlichen Gesundheitswesens zur Reduzierung des Alkoholkonsums behindern können.
Materialien und Methoden
In dieser Studie erfolgte die Datenerhebung und ‑analyse in fünf Schritten:
- Auswahl einer Stichprobe von Akteuren der Alkoholindustrie, Identifizierung von Informationsquellen,
- Datenerhebung,
- Datenanalyse und
- Präsentation der Ergebnisse.
Die Forscherinnen verwendeten eine organisatorische Definition der Alkoholindustrie und gingen über eine konventionelle Perspektive hinaus, um ein breiteres Spektrum von Einheiten innerhalb des organisatorischen Rahmens der Industrie einzubeziehen. Ihre Untersuchung umfasste Alkoholproduzent*innen, Einzelhändler*innen, Unternehmen der Versorgungskette, Regulierungsbehörden und andere Organisationen, die für den Alkoholsektor in Portugal relevant sind.
Auf der Grundlage dieses Ansatzes definierten die Forscherinnen drei Kategorien von Akteuren der Alkoholindustrie nach ihrer Haupttätigkeit und ihrem Auftrag:
- Handelsverbände,
- Hersteller*innen und Marken und
- Institutionen, die an der Regulierung oder Förderung von Wein beteiligt sind.
Zunächst erstellten sie eine umfassende Liste der Akteur*innen der Alkoholindustrie in Portugal, die sie durch wiederholte Recherchen eingrenzten. Schließlich wählten sie zehn Akteur*innen der Alkoholindustrie aus, die den breiten Handlungsspielraum der Branche im Land veranschaulichen. Zu den Auswahlkriterien gehörten: die Anzahl der vertretenen Produzent*innen oder Partner*innen, Markt- und Branchenführerschaft oder Relevanz, Medienpräsenz und die Verfügbarkeit von Daten zu Initiativen im Bereich der sozialen Unternehmensverantwortung.
Ergebnisse
Es wurden 209 schriftliche Dokumente gesammelt und analysiert. Innerhalb der kodierten Elemente wurden alle sieben Kategorien identifiziert. Am häufigsten wurde über Unternehmensphilanthropie berichtet, gefolgt von Alkoholaufklärung und ‑erziehung mit 72 (34,8 %) beziehungsweise 60 (29 %) CSR-Maßnahmen. Diese beiden Kategorien machten fast 65 % aller kodierten Informationen aus. Die Beteiligung an der Forschung wurde mit nur zwei Nennungen (weniger als 1 % der Daten) am seltensten erwähnt. Zwei Akteur*innen der Alkoholindustrie, die Associação de Vinhos e Espirituosas de Portugal – ACIBEV (Portugiesischer Verband für Wein und Spirituosen) und die Sociedade Central de Cervejas – SCC (Zentralverband der Brauereien), hielten mehr als 50 % der gesammelten Aufzeichnungen.
Diskussion
Diese Studie veranschaulicht die vielfältigen Initiativen der Alkoholindustrie in Portugal im Bereich der sozialen Unternehmensverantwortung. Darüber hinaus beleuchtet sie die wichtigsten öffentlichen Botschaften der Branche zu den Themen Alkohol, Gesundheit und Politik.
Zwei Hauptbeispiele sind Gesundheitsinformation und ‑erziehung. Die Alkoholindustrie setzt auf Aufklärung statt auf Radikalität und Regulierung und bezieht sich dabei auf wirksame Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit wie die SAFER-Initiative oder die »Best Buys« der WHO, deren Umsetzung sich negativ auf die Geschäftsinteressen der Industrie auswirken könnte.
In den Materialien der Alkoholindustrie werden bestimmte Gesundheitsrisiken des Alkoholkonsums hervorgehoben, diese jedoch durch Vorteile ausgeglichen, und es wird betont, dass negative Folgen nur bei »Missbrauch« und übermäßigem oder starkem Alkoholkonsum auftreten. Dadurch können Fehlinformationen verbreitet werden, die die öffentliche Wahrnehmung alkoholbedingter Schäden verharmlosen.
Ein weiteres gemeinsames Thema ist die Verantwortung der Einzelpersonen oder der Verbraucher*innen, wobei die Alkoholindustrie die Rechte und die Entscheidungsfähigkeit Einzelner in Bezug auf den Alkoholkonsum verteidigt. Dies kann als Versuch gesehen werden, sich vor möglichen rechtlichen Verpflichtungen im Zusammenhang mit Schäden durch ihre Produkte zu schützen. Tabakunternehmen haben diese Strategie in der Vergangenheit genutzt, um die Verantwortung von der Industrie auf die Einzelpersonen zu verlagern, indem sie behaupteten, diese seien allein für ihr Handeln verantwortlich. Wie bei anderen krankheitsverursachenden Industrien müssen wir die Rhetorik und die Argumentation der Alkoholindustrie verstehen, um ihr begegnen zu können.
Die von der Alkoholindustrie herausgegebenen Richtlinien zum Alkoholkonsum stehen im Widerspruch zu den Empfehlungen der WHO, die besagen, dass es kein sicheres Alkoholkonsumniveau gibt. Da die offiziellen Gesundheitsbehörden in Portugal, wie auch in anderen Ländern, nicht genügend Informationen über Alkohol und Gesundheit zur Verfügung stellen, füllen Initiativen wie diese die Lücke. Die Forscherinnen sind daher der Meinung, dass Gesundheitsbehörden und Fachleute anfangen sollten, darüber zu diskutieren, warum und was sie vernachlässigen und welche Lösungen umgesetzt werden sollten.
Das Konzept des mäßigen Alkoholkonsums ist in Programmen für Minderjährige enthalten, wie zum Beispiel im SAPRO-Programm »Menores nem uma gota«, obwohl Minderjährige keinen Alkohol konsumieren sollten. Dies steht im Einklang mit den Aktivitäten zur Information, Erziehung und Sensibilisierung junger Menschen für einen moderaten Alkoholkonsum im Rahmen der Maßnahmen des Nationalen Plans für die Jugend zur Prävention von Risikoverhalten in dieser Gruppe.
Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass von der Alkoholindustrie finanzierte Aufklärungsmaßnahmen die Interessen der Alkoholindustrie über die der Jugendlichen stellen können. Sie konzentrieren sich auf die Verantwortung der Eltern oder der einzelnen Person und vernachlässigen wirksame bevölkerungsbezogene Maßnahmen.
Trotz der Behauptungen der Alkoholindustrie über ihre Beteiligung am Nationalen Forum für Alkohol und Gesundheit fanden die Forscherinnen keine Belege dafür, dass diese Verpflichtungen zu einer Verringerung des Alkoholkonsums im Land beigetragen haben. Darüber hinaus wurde die Teilnahme der Alkoholindustrie am Forum nicht nur als altruistisch beschrieben, sondern auch als Plattform für ihre CPA-Taktiken und Aktivitäten im Bereich der sozialen Unternehmensverantwortung. Die Teilnahme der Regierung und der Institutionen dient als Glaubwürdigkeitsbeweis und kann dazu genutzt werden, ihr Image zu verbessern, indem zusätzliche positive Aufmerksamkeit auf ihre Maßnahmen gelenkt wird.
Es ist erwähnenswert, dass 29 im Bereich Alkohol und Gesundheit tätige Nichtregierungsorganisationen 2005 aus dem Europäischen Forum für Alkohol und Gesundheit ausgetreten sind, nachdem der Europäische Kommissar die Bitte von Gesundheitsexpert*innen abgelehnt hatte, ein formelles Treffen mit Kommissionsbeamt*innen abzuhalten, um die Alkoholpolitik frei von Interessengruppen zu diskutieren. Sie behaupteten auch, dass es keine Beweise dafür gebe, dass das Europäische Forum für Alkohol und Gesundheit einen Einfluss auf die öffentliche Gesundheit habe.
Portugal erhöht Alkoholsteuer: aber Steuergeschenke für die Weinindustrie
Die portugiesische Regierung hat die Alkoholsteuer um 4 % erhöht, der Weinindustrie jedoch eine weitere Steuererleichterung gewährt. Die Mehrheit der Alkoholkonsument:innen in Portugal konsumiert Wein. Indem die Regierung die Verbrauchssteuern auf Wein nicht erhöht, verschenkt sie die Vorteile, die die Besteuerung von Alkohol für die öffentliche Gesundheit mit sich bringt, und lässt die Menschen ungeschützt vor den Schäden, die der Weinkonsum nach sich zieht.
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Quelle: Portuguese Journal of Public Health
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