Dies konstatierte Frauke Fölsche von NACOA Deutschland angesichts eines Drittels der rund 3 Millionen Kinder und Jugendlichen, die in suchtbelasteten Familien aufwachsen, und später selbst eine eigene Suchtgeschichte entwickeln. Anlass war eine Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages zur Alkoholprävention, die heute nachmittag stattfand.
Als besonders wirksam sieht NACOA die Maßnahmen in Kombination mit einem Alkoholwerbeverbot.«
Frauke Fölsche, NACOA
Die Ausschuss-Mitglieder hatten 60 Minuten Gelegenheit, verschiedene Expert*innen zu den Themen Alkoholvorbeugung, Alkohol in der Schwangerschaft und Kindheit bei Eltern mit Alkoholproblemen zu befragen. Da die Veranstaltung live im Bundestag-Fernsehen übertragen wurde, haben wir von der Alkoholpolitik-Redaktion mitgeschaut und präsentieren einige Highlights an Zitaten, die überwiegend zu dem Schluss kommen, dass allein der politische Wille zum Handeln fehle, um Deutschland und die EU bei der Lösung von Gesundheitsproblemen durch Alkohol voranzubringen.
Man stellt schon fest, dass man sich häufiger wiederholen muss. Das ist natürlich teilweise ermüdend, weil wir eine wissenschaftliche Evidenz haben, die aufzeigt, was erforderlich ist, um eine effektive und wirksame Alkoholprävention zu gestalten. Leider wird dieser wissenschaftlichen Evidenz nicht genug Beachtung geschenkt, sie wird nicht umgesetzt – das liegt auch an wirtschaftlichen Partikularinteressen, denen Vorrang eingeräumt wird vor Gesundheits-Schädigungen. Das ist frustrierend.«
»Die Einhaltung des Jugendschutzes ist ungemein wichtig. Man kann [Jugendliche] aber nicht für die Hauptlast beim Alkoholkonsum in Deutschland verantwortlich machen – und auch nicht darstellen, dass alleinig die Durchsetzung des Jugendschutzes der Weisheit letzter Schluss ist.«
Christine Kreider, Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen
Eine Veränderung der Alkoholkultur geht aber nicht über Nacht, sondern langsam über Jahrzehnte.«
Dr. Alfred Uhl, Kompentenzzentrum Sucht, Österreich
Zum Rückgang des Alkoholkonsums während der Covid-19-Pandemie:
Was wir aber auch sehen, und das ist ganz wichtig, dass tatsächlich dieser Rückgang nicht gleich verteilt ist in der gesamten Bevölkerung, sondern es gibt bestimmte Gruppen, die eher einen Anstieg vermelden, und das sind besonders vulnerable Gruppen. Diejenigen, die pandemie-bedingten Stress erleben, insbesondere Frauen mit Mehrfachbelastung: Kinderpflege, Job - alles zuhause im Lockdown. Und dann natürlich diejenigen, die ihren Job verloren haben und diejenigen, ganz besonders wichtig auch zu nennen, die vor der Pandemie schon stark getrunken haben, tendieren dazu während der Pandemie mehr zu trinken.«
»Es geht hierbei nicht nur um Suchtkranke. Alkoholkonsum löst Probleme bei sehr vielen Leuten aus, er verursacht auch Probleme bei denen, die nicht trinken.«
Dr. Jakob Manthey, Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der TU Dresden
Hirnreifung endet beim Menschen zwischen 21 und 23 Jahren. Bis dahin ist das Zentralnervensystem besonders vulnerabel vor Intoxikationen.«
»Schadensminimerung kann allein keinesfalls ausreichend sein. Also nicht nur, weil man auf einem Bein schlechter steht als auf mehreren, sondern weil es auch darum geht, dass diese Schadensminderung in sich Limitierungen hat.«
»Wir haben es bei Alkohol mit einer Schadsubstanz zu tun, die ja ausgesprochen zytotoxisch ist.«
Dr. Frank Härtel, Sächsische Landesärztekammer
Alkohol – ein Tabuthema der deutschen Politik
Weinköniginnnen küren, zu Botschafter*innen des Bieres ernannt werden, Oktoberfest-Eröffnungen, dort sind Politiker*innen gern in der ersten Reihe dabei – und kein Parteitag findet ohne Sponsoring durch Alkoholproduzent*innen statt. Wenn es jedoch um unbeliebte Entscheidungen zum gesundheitlichen Schutz der Bevölkerung vor Alkoholschäden geht, bleibt der Plenarsaal eher leer.
Am 3. März 2021 findet um 14.30 Uhr jedoch eine öffentliche Anhörung zu zwei Anträgen der Opposition statt, die sich mit dem unbequemen Thema Alkohol befassen:
Es braucht ein abgestimmtes Maßnahmenpaket, deshalb […] brauchen wir auch politische Unterstützung, denn gerade so Dinge wie Werbung, Preisgestaltung, Verfügbarkeit erzielen natürlich noch höhere Effekte gesamtgesellschaftlich, wenn da die Politik hintersteht, und wenn da entsprechend Regeln und Gesetze auf den Weg gebracht werden. Das hat zum Beispiel das [nächtliche] Ausschankverbot in Baden-Württemberg gezeigt. Das hat eigentlich gut gewirkt und dann hat man es wieder gekippt.«
»Die besten Strategien und Programme nützen ja nichts, wenn sie in der Schublade liegen bleiben und die Fachkräfte vor Ort mit zu wenigen Ressourcen ausgestattet sind.«
Peter Eichin, Villa Schöpflin gGmbH
Alkoholwerbung wirkt, deswegen wird sie gemacht. Es gilt als erwiesen, dass Alkoholwerbung bei Jugendlichen den Einstieg in den Konsum fördert, und außerdem die Trinkmenge und das Rauschtrinken erhöht. Je häufiger Jugendliche Alkoholwerbung sehen, um so mehr trinken sie. Selbstbeschränkungen der Industrie hingegen sind wirkungslos, da sie meistens zu schwache Beschränkungen enthalten, zu wenige Unternehmen daran teilnehmen und es zu viele Regelverstöße gibt. Am besten wirkt die Kombination verschiedener Maßnahmen. Das können wir gerade in Litauen beobachten.«
»Den wenigsten Menschen dürfte bewusst sein, dass Alkohol auch ein Risikofaktor für Krebs ist und sechs verschiedene Krebsarten verursacht. Alkohol schadet auch nicht nur der trinkenden Person selbst, das bedenken viele auch nicht, sondern auch anderen. Das Bewusstsein für all diese Gefahren des Alkoholkonsums für Gesundheit und Gesellschaft ist in Deutschland zu gering ausgeprägt. Es ist daher eine gesundheitspolitische Aufgabe, das Wissen um die Gefahren des Alkoholkonsums zu verbessern und wirksame Maßnahmen zur Verringerung des Alkoholkonsums zu ergreifen.«
Dr. Katrin Schaller, Deutsches Krebsforschungszentrum (dkfz)
In der Tat ist Schadensbegrenzung eine Strategie, die im Tabak- aber auch im Alkoholbereich bisher wenig gefahren wird.«
»Die BZgA-Strategien sind nach dem Muster gestrickt: One size fits all. Das merkt man insbesondere an Kampagnen wie ›Kenn dein Limit‹, die zwar auf Mäßigung aus sind, aber zum Beispiel Geschlechter-Klischees reproduzieren, die dann wiederum bestimmte Verhaltensmuster verhärten können.«
»Da wir keine konsistente Alkoholkontrollpolitik haben, würde ich mir wünschen, dass auch in der Verhältnisprävention starke Akzente gesetzt werden. Das Alkoholwerbeverbot wäre da ein wichtiger Baustein, weil mit der Werbung Alkohol als Lifestyle-Produkt aufgebaut wird.«
Prof. Dr. Heino Stöver, Institut für Suchtforschung Frankfurt am Main (ISFF)
Grüne fordern Strategie zur Alkoholprävention
Vergangenen November haben Abgeordnete der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen den Antrag
gestellt, zu dem der Bundestag im ersten Satz beschließen möge:
»Alkohol wird in Deutschland mit Geselligkeit, dem gemütlichen Feierabendbier oder großen Volksfesten assoziiert.«
Diese vermutlich humoristisch gemeinte Einleitung dürfte allerdings das einzige sein, dem Abgeordnete aller Fraktionen einmütig zustimmen werden – nur bedarf es dazu wirklich eines Bundestags-Beschlusses?
Am 3. März findet nun eine öffentliche Anhörung zu diesem sowie einem FDP-Antrag zum Thema Fetales Alkoholsyndrom (FAS) statt, die auch live im Internet verfolgt werden kann.
Wir sehen tatsächlich in den letzten Jahren, dass ein Stück weit der politische Wille fehlt, verbindliche Maßnahmen im Bereich Alkoholprävention anzugehen und das, was eben am meisten fehlt, das sind verhältnispräventive Maßnahmen. […] [Es braucht] verhältnispräventive Maßnahmen, die die gesellschaftliche Situation, das Umfeld, die Lebenswelten eben so verändern, dass Alkohol-Abstinenz und risikoarmer Konsum unterstützt werden.«
»Tatsächlich können wir da [zur Alkoholwerbung] auf eine Reihe an wissenschaftlichen Studien zurückgreifen, die uns tatsächlich zeigen, dass freiwillige Selbstverpflichtungen eigentlich nur eines verhindern: nämlich wirksame gesetzliche Regelungen.«
Prof. Dr. Ute Mons, Kardiovaskuläre Epidemiologie des Alterns, Universitätsklinikum Köln
Die gesamte Anhörung kann in der Bundestags-Mediathek angesehen werden.
Quelle: Deutscher Bundestag