Student*innen des berufsbegleitenden Masterstudiengangs »Suchthilfe/Suchttherapie« haben die Alkohol- und Glücksspielwerbung beim Deutschlandspiel der Männerfußball-Europameisterschaft (EM) am 5. Juli analysiert. Alarmierend findet der Kölner Suchtpsychologe Prof. Dr. Ulrich Frischknecht von der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (katho) die Dominanz und Positionierung der Werbung im Spielverlauf. Er fordert – ebenso wie Betroffene und Verbände – ein Ende der Alkohol- und Sportwettenwerbung im Fußball.
Statt auf der Fanmeile trafen sich die Student*innen zum EM-Achtelfinalspiel am Abend des 5. Juli im Seminarraum. Gemeinsam analysierten sie ein oft übersehenes Problem bei Fußballübertragungen: Suchtmittelwerbung. Die Student*innen, die neben ihrem Studium bereits als Sozialarbeiter*innen in Einrichtungen der Suchthilfe tätig sind, dokumentierten im Fünf-Minuten-Takt die Einblendung von Werbung für Alkohol und Glücksspiele in Werbespots und auf Fußballplatzbanden. Denn neben der Biermarke Bitburger ist auch der Sportwettenanbieter Betano offizieller Sponsor der Männerfußball-EM.
Die Analyse ergab, dass Alkoholwerbung in unmittelbarer Nähe der Spielpausen wie Halbzeitpause, Abpfiff der regulären Spielzeit, Halbzeit der Verlängerung und Schlusspfiff gezeigt wurde. Zudem gab es ab der 20. Spielminute nur noch drei fünfminütige Zeitfenster, in denen keine Glücksspielwerbung gezeigt wurde.
Platzierung von Bierwerbung ist alarmierend
Frischknecht, der die Evaluation gemeinsam mit Sebastian Müller (Leiter der Suchtambulanz der Caritas München und Oberbayern) begleitet hat, spricht angesichts der Ergebnisse von einem Versagen der Suchtpolitik:
Durch Alkoholkonsum in Deutschland entstehen den Krankenkassen und indirekt der Volkswirtschaft jährlich 60 Milliarden Euro Kosten – ganz zu schweigen von dem persönlichen Leid, das durch den Alkoholkonsum in den Familien entsteht.«
Es sei unverständlich, warum die Bitburger Brauerei direkt nach dem UEFA-Slogan »Because every child is a champion« (Weil jedes Kind ein Champion ist) für ihr Bier werben dürfe. Auch ein seit Jahren vom Bundesdrogenbeauftragten Burkhardt Blienert und anderen Politiker*innen gefordertes Werbeverbot blieb bisher aus.
Alarmierend findet Frischknecht auch die Platzierung der Alkoholwerbung im Spielverlauf – immer vor dem Abpfiff mit Pausencharakter. Aus Sicht des Suchtforschers ist dies der werbepsychologisch beste Sendeplatz für Bierwerbung – nicht nur, weil genügend Zeit ist, sich ein Bier zu holen, sondern auch, weil mit dem Schlusspfiff die Anspannung während eines Fussballspiels nachlässt und der Alkoholkonsum direkt mit dem Entspannungseffekt ›konditioniert‹ werden kann.
Es würde mich sehr wundern, wenn die Werbepsycholog*innen diesen Sendeplatz nicht absichtlich ausgesucht hätten.«
Prof. Frischknecht, katho
»Abhängige Menschen sind die besten Kund*innen«
Überrascht zeigten sich Müller und Frischknecht auch von der Häufigkeit der Glücksspielwerbung: Beide hatten deutlich mehr Alkohol- und weniger Glücksspielwerbung erwartet.
Hieran zeigt sich, dass die Politik lieber Lobby-Interessen vertritt als das Wohl von Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen.«
Prof. Frischknecht, katho
Seit Jahrzehnten nimmt die Glücksspielindustrie Einfluss auf die Gesetzgebung. Im Glücksspielstaatsvertrag steht, dass Glücksspiele notwendig sind, um den natürlichen Spieltrieb zu befriedigen. »Natürlich hat der Mensch einen natürlichen Spieltrieb, aber Glücksspiele haben in diesem Zusammenhang nichts zu suchen«, meint Frischknecht. Denn anders als beim Fußball, wo man sich mit seinen Mitspieler*innen gegen andere Mannschaften messen, Erfolge feiern und Niederlagen in der Gemeinschaft verarbeiten wolle, berge das Glücksspiel ein Suchtpotenzial – insbesondere bei den von der Glücksspielindustrie »hochgezüchteten Spielen, die menschliche Bedürfnisse gesundheitsschädigend ausnutzen, denn Abhängige sind die besten Kund*innen«.
Übertragen auf ihre Arbeit entwickelten die Student*innen im Anschluss an das Spiel die Idee, eine solche Analyseübung mit ihren Klient*innen durchzuführen. So könnte ihnen bewusst werden, an wie vielen Stellen sie unbewusst von der Suchtmittelindustrie beeinflusst werden.
Dies könnte Menschen mit Suchterkrankung auf ihrem Weg der Abstinenz helfen, wachsamer durch die Welt zu gehen und Schuldzuweisungen besser zu verarbeiten – denn dass Alkohol und Glücksspiele überall so angepriesen werden, ist nicht ihre Schuld«, fasst Frischknecht zusammen.
Quelle: Pressestelle der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen