In der Frankfurter Allgemeinen schrieb Peter Richter im August 2010: »Ganz nüchtern betrachtet, ist ein Alkoholverbot nichts als ein Gebot der Vernunft und die logische Konsequenz aus der Lage und Entwicklung der Dinge.« Klar, das Zitat ist aus dem Zusammenhang herausgenommen. Es geht um das Alkoholverbot. Dazu gehören Herstellung, Import und Handel sowie der Konsum.

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Prohibition als Fremdwort für Alkoholverbot gebraucht. Der Begriff Prohibition stammt aus der Zeit des absoluten Alkoholverbots in den USA von 1919 bis 1933. Was weniger bekannt ist, sind weitere geschichtliche Alkoholverbote, also Prohibition in anderen Ländern wie auf den Färöer Inseln (1907–1928), in Finnland (1919–1932), indischen Provinzen (1950–2000), Island (1915–1922), Norwegen (1916–1927), auf der Prinz-Edward-Insel, Kanada (1901–1948) und in Russland (1919–1925).

Grundlage ist eine politische Entscheidung der gesetzgebenden Gewalt, Prohibition als Gesetz und strafrechtliche Maßnahme zu erklären. Unterschiedliche Verläufe und Gründe führten zur Aufhebung des jeweiligen Alkoholverbots.

In muslimischen Staaten gibt es kein einheitliches Alkoholverbot, weil die Religion die Gesetze liefert und nicht die politische gesetzgebende Gewalt Gesetze bestimmt. Im Islam können ältere Aussagen durch neuere Auslegungen überdeckt werden, was einer Aufhebung eines Gesetzes durch ein anderes Gesetz gleich kommt (Abrogation).

Prohibition als politisches Schlagwort

Seit einigen Jahren wird der Begriff Prohibition für jegliche Einschränkung bei Alkohol, Tabak und illegalen Drogen benutzt. Die Wortbenutzer rücken damit die negative Seite des Misserfolgs der Prohibition in den USA in den Vordergrund und benutzen den Begriff beispielsweise beim Betäubungsmittelgesetz (BtMG von 1981), beim Bundesnichtraucherschutzgesetz und bei den Landesraucheinschränkungen. Neuerdings beziehen sie das Alkoholtrinkverbot der öffentlichen Verkehrsbetriebe mit ein.

Im BtMG sind die Drogen Alkohol, Coffein und Nikotin nicht enthalten, so dass der Volksmund von »legalen Drogen« oder »Volksdrogen« spricht.

Sobald heute über Einschränkungen in der Verfügbarkeit von Alkohol gesprochen wird, malt die Alkoholindustrie das Gespenst der Prohibition an die Wand. Aber weder die Guttempler noch die Redakteure der Website »alkoholpolitik.de« fordern ein absolutes Alkoholverbot.

Prohibition kann heute kein Mittel der Wahl sein. Aber bei knapp 10 Litern reinen Alkohols als Pro-Kopf-Konsum kann darüber auch nicht diskutiert werden, sondern es geht darum, die mit dem Alkoholkonsum verbundenen Schäden zu reduzieren.

Mit Vollendung des 18. Lebensjahrs wird der Mensch volljährig, d. h., er wird geschäftsfähig und voll deliktfähig. Er erreicht die Handlungsfähigkeit des Erwachsenen. Von diesem Tag an gilt der Mensch als fähig, selbstständige Entscheidungen zu treffen, Verantwortung für eigenes Handeln zu übernehmen und für seine Gesellschaft und seinen Staat Verantwortung durch politische Mitwirkung zu tragen.

Mit anderen Worten: das ist die rechtliche Grundlage des mündigen Bürgers, der mündigen Bürgerin. Theodor W. Adorno, (1903–1969), Professor in Philosophie und Soziologie in Frankfurt am Main erklärte in seinem Vortrag »Erziehung zur Mündigkeit«, dass der Mensch mündig ist, wenn er sich Einblick in das Zustandekommen der selbstgeschaffenen sozialen Verhältnisse verschafft. Mündigkeit ist die Voraussetzung, um sich eine Veränderung der Verhältnisse vorstellen zu können.

In einer Fernsehsendung wurde ein Muster eines mündigen Bürgers satirisch beschrieben, es fehle ihm Information, es fehle ihm Wissen und es fehle ihm die Denkauseinandersetzung zum Thema. Dafür aber besitze er Vorurteile, die aus dem Gefühl stammen oder aus Halbwahrheiten oder aus dem, was Meinungsbildende sagten oder – sogar schrieben.

Information statt Propaganda

Setzen wir also Informationen ein und erleichtern, ein Wissen aufzubauen. Dabei beschränken wir uns auf den Alkohol. Eine Reihe von Aussagen lassen sich auf Tabak, psychotrope Medikamente und illegale Drogen übertragen. Als Quelle dient uns das »Jahrbuch Sucht 2012« herausgegeben von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, Pabst Science Publisher.

Der Alkoholverbrauch betrug 2010 nach vorläufiger Schätzung 9,6 Liter reinen Alkohol je Einwohner der Bundesrepublik. Umgerechnet auf die konsumierende Bevölkerung von 18 bis 64 Jahre (51,6 Mio.) sind es 12ĄLiter reiner Alkohol. Im internationalen Vergleich gehört die Bundesrepublik zu den Hochkonsumländern.

Bei einer systematischen Untersuchung im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums ergab sich als Merkmal für »riskanten Alkoholkonsum« eine tägliche Durchschnittsmenge von mehr als 10 bis 12 Gramm Reinalkohol (zirka anderthalb Glas Bier oder Wein) für Frauen und 20 bis 24 Gramm für Männer. Die Werte des riskanten Alkoholkonsums haben für gesunde Erwachsene Geltung und treffen auf 9 500 000 Erwachsene zu.

Übersteigt der Alkoholkonsum die angegebene Menge, handelt es sich um »Rauschkonsum«, der für 5 900 000 Menschen zutrifft. Aus gleicher Quelle stammen die Werte für alkoholbezogene Störungen: DSM IV 305 (Missbrauch) mit 2 000 000 und DSM IV 303.90 (Abhängigkeit) mit 1 300 000 Patienten. (Quelle: Epidemiologischer Suchtsurvey 2006; DSM = Diagnostisches und statistisches Handbuch psychischer Störungen).

Die jährliche Sterblichkeitsziffer (Mortalität) durch Alkohol und Tabak wird mit 74 000 Todesfällen angenommen. Auf ICD 10 F 10.2 (Alkoholabhängigkeitssyndrom) und Leberzirrhose entfallen davon jährlich etwa 17 000 Todesfälle, weil in 25 Jahren (1980–2005) die jährlichen Erkrankungsfälle um rund 80 % auf 16 329 gestiegen sind. (John, U.; Hanke, M. 2002)

Die Häufigkeit der Erkrankungen in der Gruppe der alkoholtrinkenden Menschen zu vermindern, ist die Grundlage für eine Änderung der Mortalität. Gesunde Menschen leben länger. Das bedeutet, dass etwa 15 Millionen Menschen – dabei sind vor allen Dingen junge Menschen – dringend weniger Alkohol trinken müssen. Durch eine Erhöhung des Abgabealters aller alkoholhaltigen Getränke auf 18 Jahre und durch eine konsequente Ausweiskontrolle des verkaufenden Personals kann die körperliche Entwicklung junger Menschen reifen und daher verfrühte Morbidität eingeschränkt werden. (Room, R. »Alcohol and public health« in »Lancet« 365/2005) Gerhard Bühringer und andere weisen in »Alkoholkonsum und alkoholbezogene Störungen« (Schriftenreihe des Bundesgesundheitsministeriums Bd. 28) nach, dass bei über 200 Erkrankungen und 80 Arten Unfälle oder Verletzungen bei riskantem Alkoholkonsum ein erhöhtes Todesrisiko besteht.

Einzelaktionen sind oft wirkungslos

Das Alkopopsteuergesetz (Inkrafttretung 01. Juli 2004) brachte zwei Ergebnisse. Zum einen kauften Jugendliche weniger Alkopops, da sie teurer geworden waren und zum zweiten wichen die Jugendlichen auf preiswertere Alkoholika aus und mixten selbst. Das Ziel, junge Menschen vor den Gefahren des Alkoholkonsums zu schützen, wurde nicht erreicht. Die Forschungsgruppe fordert, sich verstärkt auf den Gesamtalkoholkonsum von Jugendlichen auszurichten. (Müller, Stefanie et al. »Changes in a consumption and beverage preference among adolescents after the introduction of the alcopops tax in Germany« in Addiction, 105, pg. 1205–1213)

Die polizeiliche Kriminalstatistik 2010 zeigt bei den Straftaten unter Alkoholeinfluss im Vergleich zum Vorjahr eine überwiegende Abnahme bei 11 ausgewählten Straftaten (Jahrbuch S. 19). Erst, wenn man sich den Altersgruppen der Tatverdächtigen zuwendet, entdeckt man bei Minderjährigen ( 18–21 Jahre) auffällige Steigerungsraten zu den Vorjahren. Sie entsprechen dem gestiegenen und steigenden Alkoholkonsum dieser Altersgruppen (Jahrbuch S. 169).

Eine Ausnahme bilden die Straftaten unter Alkoholeinfluss im Straßenverkehr, die nicht zu den 11 Straftaten (s. o.) gehören. Hier wirkt sich das Gesetz aus, das ab 1. August 2007 den Fahrern unter 21 Jahren und den Fahranfängern für zwei Jahre auferlegt, nur ohne Alkohol am Straßenverkehr teilzunehmen. Für 2009 ergab sich eine Minderung von 19 % alkoholisierter Minderjähriger mit Unfallgeschehen (Führerschein für Leichtkraftrad, Mofa und Moped) und bei den Heranwachsenden (18–20 Jahre) eine Abnahme von 11 %. (Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 8. Juli 2009)

Eine einfache Rechnung

Wer als Geschäftsinhaber am Ende des Jahres seine Buchhaltung abschließt, ermittelt für das Eigenkapital den Gewinn oder Verlust. Dafür erstellt er das Erfolgskonto, das auf der linken Seite den Aufwand und auf der rechten Seite des Kontos den Ertrag zeigt. Ist der Ertrag höher als der Aufwand, liegt ein Gewinn vor, der als Einkommen versteuert werden muss. Der Werbeaufwand von 2000 bis 2010 betrug 5,962 Milliarden € und minderte den Gewinn in der Alkoholgetränke-Industrie und damit den Einkommensteueranteil für den Staat. Der Staat kann den Werbeaufwand teilweise oder ganz zum neutralen Aufwand erklären, der nicht abzugsfähig ist.

Die Höhe der Verbrauchssteuer je Liter reinen Alkohols in Deutschland beträgt bei Spirituosen 13,03 €, bei Schaumwein 13,60 € und bei Bier 1,97 €. Die Biersteuer wird von den Bundesländern erhoben und zeigt einen Durchschnittswert. Wein wird nicht besteuert. In den elf Jahren gab es keine Erhöhung der Steuern. Im Vergleich zu den EU-Ländern liegen die deutschen Steuersätze bis auf Schaumwein deutlich unter dem Durchschnitt. Der Staat nahm in den elf Jahren 36 937 000 000 € ein; davon flossen 630 Millionen € als Subventionen der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein zurück zu den Erzeugern. Diesen gekürzten Einnahmen stehen in den elf Jahren geschätzte 270 000 000 000 € volkswirtschaftliche Kosten alkoholbezogener Krankheiten wie ambulante und stationäre Behandlung, nicht medizinisch direkte Kosten, Rehabilitation und indirekte Kosten wie Mortalität, Arbeitsunfähigkeit, Frühberentung (ohne Kriminalität) gegenüber. (Jahrbuch 06 bis 12)

Sollten die Schätzungen der Kosten zu hoch gegriffen sein, bliebe selbst bei einer Halbierung ein jährlicher volkswirtschaftlicher Verlust von durchschnittlich 10 Millionen €. (Quellen: »Alkoholkonsum und alkoholbezogene Störungen in Deutschland« Schriftenreihe des BMG. Bd. 128, Nomos Verlag 2000; Bergmann, Eckardt & Horch, Kerstin »Kosten alkoholassoziierter Krankheiten« 2002, Robert-Koch-Institut, Berlin; Konnopka, Alexander & König, Hans-Helmut »Direct and indirect costs attributable to alcohol consumption in Germany« 2007 in Pharmacoeconomics, 25(7), pg 605–618)

Verhältnisprävention ist notwendig

Die deutsche Gesellschaft braucht eine Verminderung des Alkoholkonsums. Dabei müssen alle Möglichkeiten der Vorbeugung (Prävention) und der Information ausgeschöpft werden. Besonders erfolgreich sind alle Maßnahmen der Verhältnisprävention. Damit wird die Einflussnahme auf die Verfügbarkeit, auf den Preis oder auf die Werbung beschrieben. Diese Maßnahmen sind wichtig für die Reduzierung der individuellen und gesellschaftlichen Probleme und Kosten. Und dennoch wird es immer in der Verantwortung der einzelnen Menschen bleiben, über ihren Konsum zu entscheiden.

Klaus-Dieter Bischof