Das hätte eine interessante Talkshow werden können. Schon ziemlich früh im Rahmen des neuen Sendeplatzes ein gewaltig eingeführtes Thema: Die Trinker-Republik Deutschland – unterschätzen wir die Volksdroge Alkohol? Die Antwort wäre relativ schnell, deutlich und einfach mit einem „Ja“ zu geben.

Aber im Laufe der Sendung hatte ich den Eindruck, dass es nicht um die gesellschaftliche Bedeutung des Themas ging, sondern dass das Thema nur dem Zuschauerfang diente. Eine Diskussion fand statt. Aber nicht über das Thema, sondern über Menschen und ihre Geschichte. Das kann als »Aufhänger« ja gut sein – aber das Gespräch, der Austausch wird doch erwartet. Vielleicht ist Günther Jauch doch eher ein Unterhaltungsfachmann? So heißt seine Produktionsfirma ja auch »I + U – Information und Unterhaltung« und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Sendungen vorher auf ihren Unterhaltungswert hin abgeklopft und zusammen gestellt werden.

Schauen uns wir einmal die handelnden Personen an: Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Andreas Schockenhoff ist bereits mehrfach alkoholisiert am Steuer erwischt worden und hat sich nun in Behandlung begeben. Was er dort über sich gelernt hat, hat er routiniert widergegeben. Aus therapeutischer Sicht wissen wir, dass das viel zu früh war, aber so läuft Politik. Das war so etwas wie eine Rückversicherung, dass es auch wirklich alle wissen und ihn in seinen Bemühungen, alkoholfrei zu leben, unterstützen. Aber die Geschichte war geschönt: Seine Ehe ging zu Bruch, die Kinder haben ihren Vater selten gehabt und dann auch nur unter Einfluss von Alkohol. Was hindert ihn also, politische Konsequenzen zu ziehen? Da wird die eigene Geschichte sehr schnell zu einem Einzelfall umdefiniert. Das ist mir passiert, warum sollen wir daraus politisch Lehren ziehen? Warum soll ich mich für die anderen Menschen, denen das auch passieren könnte, in die Nesseln setzen?

Auch Christine Haderthauer, die Bayerische Ministerin für Arbeit, Sozialordnung, Familie und Frauen von der CSU, versuchte allen Ernstes, das einzelne Phänomen herauszuarbeiten, sie möchte im Einzelfall intervenieren und helfen. Gut, dass sie das tut, aber so löst man doch kein gesellschaftliches Problem. Schade, dass sie die positiven Ansätze der Bayrischen Politik nicht einmal vorstellte, geschweige denn verteidigte. Das Gute an ihrem Auftritt war ihre Zurückhaltung.

Mein Freund Rüdiger-Rolf Salloch-Vogel, Arzt und Suchtexperte ist ein außergewöhnlicher Fachmann. In eigener Sache und in der Suchttherapie. Aber auch er wurde ein Opfer der Sendung. Vorher schon mit einem Einspieler aufgebaut, in der die persönliche Geschichte im Vordergrund stand. Getreu dem Motto: Lasst uns die Sendung am Einzelschicksal aufbauen und ablaufen. Aber warum sagt Rüdiger nicht all das, was er weiß und kann, sondern lässt sich von einem Peter Richter – dazu später – provozieren? Immerhin haben wir ihm zu verdanken, dass das Thema in einen größeren Rahmen gestellt wurde.

Trotz vieler Anfeindungen war Bernd Siggelkow, Pastor und Leiter des Jugendhilfswerks »Die Arche e.V.«, in meinen Augen der politisch konsequenteste Teilnehmer der Runde. Seine Forderungen nach politischen Konsequenzen waren gut begründet, er wurde damit aber sofort an den Rand gedrückt. Auch er will die Republik nicht trocken legen, aber er möchte einige der Löcher stopfen, die mit dafür verantwortlich sind, dass der Alkohol fließt und junge Menschen sich bis zum Umfallen abfüllen können.

Sicherlich gibt es Menschen, die sich an den Thesen von Peter Richter, einem Journalisten bei der FAZ und Autor eines neuen Buches, erfreut haben. Sie saßen aber nicht im Publikum, denn er konnte völlig Beifall frei agieren, er erhielt keine Zustimmung vom anwesenden Publikum. Das Bedürfnis, etwas zu tun, war deutlich spürbar. Peter Richter hat ein »geistreiches« Buch geschrieben, wobei ich vermute, dass es eher der Flaschengeist war, der ihm die Feder geführt hat. »Recht auf Rausch« gefordert – ist im Grundgesetz festgelegt. Falsche Äußerungen zur Wirkung, zur Geschichte und zur Bewertung des Alkohols – machtvoll vorgetragen und nicht korrigiert. Aber sein Ziel hat er erreicht: Er und sein Buch spielten in einer Sonntagabend-Sendung eine zentrale Rolle. Schade, dass dadurch nicht ernsthaft diskutiert wurde.

Und zum Schluss noch einmal Günther Jauch: Mit seiner (ehemaligen) Werbung für eine große Bierfirma (Rettet den Regenwald) saß er im Glashaus und sorgte konsequent für vier Dinge: Erstens, dass das Thema nicht gesellschaftlich relevant besprochen wurde, zweitens, dass die Sendung faktenfrei verlief und jeder unkorrigiert alles sagen konnte und drittens seine Fragen sprunghaft und ohne Linie verteilt wurden. Das führte viertens dazu, dass das Problem unserer Gesellschaft, welches sich nicht nur auf die 1,5 Millionenen Menschen die abhängig sind und ihre mehr als zwei Millionen Kinder, die mit betroffen sind, bezieht. Sondern auch auf all die alkoholbedingten Entgleisungen in der U-Bahn, auf Schalke oder auf öffentlichen Plätzen. Und nicht zuletzt auf die Leistungen der Krankenkassen. Jeder dritte Mann, der ins Krankenhaus kommt, hat alkoholbedingte Probleme. All das kann nicht individuell geregelt werden, dazu ist eine Politik erforderlich, die ihren Namen verdient. Günther Jauch wollte das entweder nicht oder er hat eine Chance verspielt, weil er seinen Gästen ihre Profilierung gönnte.

Rolf Hüllinghorst