Das neue »Weinpaket« der Europäischen Kommission ist ein beunruhigendes Paradoxon: Während das öffentliche Bewusstsein für die Gefahren des Alkoholkonsums wächst und der Konsum sinkt, verdoppelt Brüssel die Subventionen für eine angeschlagene, gesundheitsschädliche Industrie. Statt die öffentliche Gesundheit zu schützen, schlägt die Kommission unter anderem QR-Codes statt echter Warnhinweise vor und bietet den Verbraucher*innen Illusionen statt Informationen. Hinter diesem neuen Vorschlag steht der mächtige Einfluss der Weinindustrie, deren Lobbyarbeit die EU-Institutionen dazu gebracht hat, privaten Profit über das öffentliche Interesse zu stellen. Dieser Vorschlag wirft grundlegende Fragen über das Engagement der EU für Fairness, Gesundheit und ihre eigenen Grundwerte auf, schreiben Rebecka, Otto und Emil.
Aufdeckung des Weinparadoxons der EU
In Brüssel geht etwas Seltsames vor sich. Die Europäische Kommission schlägt ein Maßnahmenpaket zur Unterstützung des europäischen Weinsektors vor. Das Unterstützungspaket für den Weinsektor soll unter anderem dazu dienen, der Weinindustrie bei der Anpassung an den Klimawandel zu helfen. Die Kommission möchte aber auch, dass mehr in die Entwicklung des Weintourismus investiert wird.
Eine Arbeitsgruppe der Kommission hat sich in den letzten drei Monaten mit der Frage der sinkenden Rentabilität der Weinindustrie befasst. Vor kurzem hat sie den endgültigen Vorschlag vorgelegt.
Die Kommission schlägt außerdem vor, Weinverpackungen mit QR-Codes zu versehen, damit Verbraucher*innen mehr über den Nährstoffgehalt und die Risiken von Wein erfahren können. Das ist paradox.

Es hat sich gezeigt, dass QR-Codes für die Verbraucherinformation völlig nutzlos sind. Die Kommission schlägt etwas vor, was der Weinindustrie gefällt, den europäischen Verbraucher*innen aber nichts bringt. Viel wichtiger wäre es, die gesundheitlichen Warnhinweise in Klartext und mit Bildern auf die Verpackung zu drucken – und genau das hatte die Europäische Kommission im Rahmen ihres Plans zur Krebsbekämpfung vorgesehen.
Die EU – lange Zeit ein Verfechter von Freihandel und Wettbewerb – subventioniert nun aktiv die Weinindustrie durch ihr neues »Weinpaket«. Als politische Union, die ansonsten gegen Marktverzerrungen und staatliche Beihilfen kämpft, wirft die Entscheidung, Steuergelder in einen gesundheitsschädlichen Sektor zu pumpen, eine unausweichliche Frage auf:
Warum wird die Weinindustrie derzeit als Ausnahme behandelt?
Drei Ausnahmen für die Weinindustrie von der Europäischen Kommission
Wir sehen drei große Geschenke oder Ausnahmen, die die Kommission für die Weinindustrie macht: Erstens widersprechen diese Subventionen den eigenen Grundsätzen der EU in Bezug auf wirtschaftliche Fairness. Während andere Sektoren unter gleichen Wettbewerbsbedingungen konkurrieren müssen, erhalten die Weinerzeuger*innen, die mit einer sinkenden Nachfrage seitens einer zunehmend gesundheitsbewussten Bevölkerung konfrontiert sind, eine direkte finanzielle Unterstützung, die sie vor den normalen Marktkräften schützt.
12 L
Weinproduktion entspricht nicht den tatsächlichen Vorlieben der Menschen
Die Überschussproduktion der europäischen Weinwirtschaft ist erschreckend. Im Jahr 2024 blieben 12 Liter Wein pro EU-Bürger*in unverkauft.
Dies zeigt, dass die Weinindustrie völlig an den Vorlieben der Menschen in der EU vorbeiproduziert. Das Angebot der Weinindustrie übersteigt die Nachfrage bei Weitem.
Die weinproduzierenden Länder haben großen Einfluss auf die Politikgestaltung in der EU. Frankreich, Italien und Spanien haben in Brüssel großen Einfluss und haben in der Vergangenheit die Agrarpolitik zu ihren Gunsten gestaltet. Das Ergebnis ist ein System, in dem Subventionen nicht nur dazu dienen, in Schwierigkeiten geratene Landwirt*innen zu unterstützen, sondern auch dazu, nationale Wirtschaftsinteressen zu schützen, selbst wenn diese den allgemeinen Marktprinzipien widersprechen und den Menschen und der Gesellschaft als Ganzes schaden.
Zweitens steht dieser Ansatz in krassem Gegensatz zum Umgang der EU mit anderen gesundheitsschädlichen Produkten. Während Tabak und ungesunde Lebensmittel immer stärker reguliert und Werbebeschränkungen verschärft werden, versucht die Europäische Kommission derzeit, die Produktion, den Verkauf und den Konsum von Wein zu fördern – einem giftigen, krebserregenden und süchtig machenden Getränk.
Stattdessen wird auch hier eine Ausnahme für die Weinindustrie gemacht. Der Vorschlag drückt vage das Bestreben aus, Marketinggesetze für den Sektor zu entwickeln. Wir können noch nicht sehen, was das in der Praxis bedeutet, aber es besteht die Gefahr, dass es einfacher wird, Wein zu vermarkten. Dies stünde jedoch im Widerspruch zu den Präferenzen der Menschen und den Standards der öffentlichen Gesundheit, die empfehlen, die Menschen vor Alkoholmarketing zu schützen.
Drittens sollten die politischen Motive hinter dieser Politik genauer untersucht werden. Die weinproduzierenden Länder haben großen Einfluss in Brüssel und ihre Lobbyarbeit hat die EU-Agrarpolitik in der Vergangenheit geprägt. Aber sollte eine Handelsunion, die auf liberalen Wirtschaftsprinzipien beruht, diesen Interessen auf Kosten eines fairen Wettbewerbs und der öffentlichen Gesundheit nachgeben?

Dieses Paradoxon wird durch die Lobbymacht der Alkoholindustrie noch verstärkt. Wie im Bericht »Uncorking Big Alcohol in the EU« ausführlich dargelegt, hat sich die Alkoholindustrie erfolgreich in die Entscheidungsstrukturen der EU eingebracht, um eine Politik zu gewährleisten, die ihre eigene Rentabilität schützt. Dies bedeutet, dass die Industrie trotz sinkender Nachfrage und eines wachsenden Bewusstseins für die gesundheitlichen Risiken von Alkohol weiterhin Subventionen erhält, die den Markt verzerren und im Widerspruch zum erklärten Engagement der EU für einen freien und fairen Wettbewerb stehen.
Wir sind besorgt über die Auswirkungen dieses Kommissionsvorschlags auf die Gesundheit der Menschen in der Europäischen Union. Die Generaldirektion Landwirtschaft und Lebensmittel der Kommission hat es völlig versäumt, andere Aspekte der Weinindustrie zu berücksichtigen, wie zum Beispiel die öffentliche Gesundheit und Sicherheit, aber auch die durch die Weinproduktion verursachten Umweltschäden.
Die Berichte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigen deutlich, dass Alkohol zu Krankheiten und vorzeitigem Tod führt. Warum wurde keine Folgenabschätzung durchgeführt, um eine solide, evidenzbasierte Grundlage für diesen Vorschlag zu schaffen?
Neuer Bericht deckt Einmischung der Alkoholindustrie in der Europäischen Union auf
»Uncorking Big Alcohol in the EU« – Eine Bestandsaufnahme der europäischen Alkoholindustrie und ihrer Lobbyarbeit gegen die öffentliche Gesundheit in den EU-Institutionen. Der neue Bericht zeigt, dass sich die EU-Kommission zur Alkoholpolitik 19 Mal häufiger mit der Alkoholindustrie als mit der Zivilgesellschaft trifft.
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Die wachsenden Leiden der Alkoholindustrie: Eine systemische Krise und die aggressive Reaktion der Branche
Die Alkoholindustrie sieht sich mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert: sinkender Alkoholkonsum bei Jugendlichen, zunehmende Verbreitung von Medikamenten zur Gewichtsreduktion und wachsendes öffentliches Bewusstsein für die gesundheitlichen Risiken von Alkohol. Während Regierungen ihre Anstrengungen zur Verbesserung der Alkoholpolitik verstärken und der wirtschaftliche Druck zunimmt, hält die Alkoholindustrie mit aggressivem Marketing, Lobbyarbeit und der Expansion in aufstrebende Märkte dagegen.
Diese eingehende Analyse zeigt die systemischen Probleme auf, mit denen die Alkoholindustrie konfrontiert ist, sowie die skrupellosen und aggressiven Strategien, die sie anwendet, um ihre Gewinne zu schützen.
Weinindustrie in der Krise
Die Weinwirtschaft hat in den letzten Jahren mehrere Rückschläge hinnehmen müssen. Die Weinindustrie ist mit ernsthaften Problemen konfrontiert. Unter anderem ist der Alkoholkonsum rückläufig, was sich in der Gewinn- und Verlustrechnung des Sektors niederschlägt. Außerdem sind sich die Europäer*innen zunehmend der gesundheitsschädlichen Auswirkungen von Alkohol bewusst.
Die zahlreichen Probleme der Weinindustrie und die sich verschärfende Krise machen sie auch aggressiver: Die Alkoholindustrie setzt alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel ein, um die Nachfrage zu steigern, auch gegen die Präferenzen der Menschen, und um Regulierungen zu vermeiden.
Durch intensive Lobbyarbeit haben sie die Kommission dazu gebracht, sich für die Weinindustrie einzusetzen, anstatt für die Menschen in Europa. Aber Artikel 2.1 des Vertrags von Lissabon – Europas »Verfassung« – legt fest:
Das Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern.«
Vertrag über die Europäische Union
Mit diesem Vorschlag wird die Europäische Kommission ihrer »verfassungsmäßigen« Rolle eindeutig nicht gerecht, da sie die privaten Profitinteressen der Weinindustrie über das öffentliche Interesse der Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention stellt.
Das neue Weinpaket der Europäischen Kommission ist mehr als eine Herausforderung für die öffentliche Gesundheit und die demokratische Rechenschaftspflicht – es ist ein Test für das Engagement der EU für ihre eigene Wirtschaftsphilosophie. Wenn Freihandel und fairer Wettbewerb wirklich die Leitprinzipien der EU sind, dann muss Brüssel überdenken, ob die Unterstützung der Weinindustrie mit seinen eigenen Prinzipien vereinbar ist.
Der Vorschlag der Kommission wird in den kommenden Monaten im EU-Parlament diskutiert werden. Wir sind sicher, dass ein so schlechter, paradoxer und widersprüchlicher Vorschlag angefochten werden wird und dass eine endgültige Entscheidung Zeit in Anspruch nehmen könnte.
Unsere Gast-Expert*innen

Rebecka Öberg
Rebecka ist Referentin für Europapolitik bei IOGT-NTO und leitet das Brüsseler Büro.
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Otto Nermo
Otto ist Europäischer Kontaktmann im Brüsseler Büro von IOGT-NTO.
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Emil Juslin
Emil ist Leiter der Abteilung für Alkoholpolitik bei IOGT-NTO.
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Quelle: MOVENDI International
Übersetzt mit www.DeepL.com