Der Alkoholkonsum belastet die Volkswirtschaften in der Europäischen Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jährlich mit Kosten in Milliardenhöhe: im Gesundheitswesen, aber auch in Form von vorzeitigen Todesfällen, Produktivitätsverlusten und sozialen Schäden. Die alkoholbedingten Schäden betreffen alle Bevölkerungsgruppen, sowohl die Alkoholkonsument*innen als auch die Nicht-Konsument*innen. Im Jahr 2019 war Alkoholkonsum für fast ein Drittel aller verletzungsbedingten Todesfälle in der Europäischen Region verantwortlich, und zwar für 42 % aller Tötungsdelikte, 37 % aller Suizide und 35 % aller Verkehrstoten.
Zitierung: World Health Organization. Regional Office for Europe. (2024). Empowering public health advocates to navigate alcohol policy challenges: alcohol policy playbook. World Health Organization. Regional Office for Europe. https://iris.who.int/handle/10665/379378. Lizenz: CC BY-NC-SA 3.0 IGO
Quelle: WHO-Regionalbüro für Europa
Datum der Veröffentlichung: 6. November 2024
Trotz dieser enormen sozialen und finanziellen Belastung werden die wahren Kosten des Alkoholkonsums häufig durch gewinnorientierte Darstellungen verschleiert. Am 6. November veröffentlichte WHO/Europa das Alcohol Policy Playbook als Argumentationshilfe für politische Entscheidungsträger*innen in der allgegenwärtigen Debatte über alkoholbedingte Schäden und alkoholpolitische Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit.
Mit durchschnittlich 9,2 Litern reinen Alkohols pro Erwachsenem und Jahr ist der Alkoholkonsum in der Europäischen Region der höchste aller WHO-Regionen. Dies trägt jährlich zu 800.000 Todesfällen bei, die überwiegend auf nichtübertragbare Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen (40 % der Fälle) und Krebs (15 % der Fälle) zurückzuführen sind.
Auch bei Stürzen, Ertrinken, Verbrennungen, sexuellen Übergriffen, Gewalt durch Intimpartner*innen und Suizid spielt der Alkoholkonsum eine erhebliche Rolle. In der Altersgruppe der 15- bis 19-Jährigen trägt der Alkoholkonsum mit einem Viertel aller verletzungsbedingten Todesfälle (25,3 %) wesentlich zu den tödlichen Verletzungen bei.
Das Handbuch zur Alkoholpolitik widerspricht der Darstellung der Industrie und präsentiert wissenschaftliche Erkenntnisse, die belegen, dass kein Alkoholkonsum, auch nicht in geringen Mengen, harmlos ist, dass Alkohol in allen Bevölkerungsschichten weitreichende Schäden verursacht und dass staatliche Maßnahmen wirksam zum Schutz von Gesundheit und Sicherheit beitragen.
Wirtschaftliche Kosten weit höher als Einnahmen
Die Länder der Europäischen Region, in denen der Alkoholkonsum eine der Hauptursachen für nichtübertragbare Krankheiten wie Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist, verlieren mehr, als sie durch den Verkauf alkoholischer Getränke einnehmen. Alkoholbedingte Schäden stellen weltweit eine erhebliche Belastung für die Volkswirtschaften dar und belaufen sich in den wohlhabenderen Ländern auf 2,6 % des Bruttoinlandsprodukts.
Die Debatte über die immensen wirtschaftlichen und sozialen Kosten des Alkoholkonsums wird jedoch häufig von mächtigen kommerziellen Interessen überlagert, die vor allem auf die Maximierung ihrer Umsätze ausgerichtet sind. Die Alkoholindustrie stellt sich als wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Europäischen Region dar, aber die Realität sieht anders aus: Die gesundheitlichen und sozialen Kosten des Alkoholkonsums übersteigen den finanziellen Nutzen bei weitem.
Der Preis, den die Europäer*innen für den Alkoholkonsum zahlen, ist zu hoch.«
Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa
Die wirtschaftlichen Kosten der Todesfälle allein durch alkoholbedingte Krebserkrankungen in der Europäischen Union wurden für 2018 auf knapp 5 Milliarden Euro geschätzt, was fast 10 % der Gesamtkosten aller krebsbedingten Todesfälle in der Europäischen Region entspricht«, betonte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa.
»Wir wissen, dass es im Hinblick auf Krebs keine unbedenkliche Menge an Alkoholkonsum gibt. Gleichzeitig sind sich weniger als 50 % der Europäer*innen des Zusammenhangs zwischen Alkohol und Krebs bewusst. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Alkoholindustrie irreführende Darstellungen fördert, die von den erheblichen gesundheitlichen Schäden des Alkoholkonsums ablenken.«
Entlarvung von Mythen, Entkräftung von Argumenten
Das Handbuch zur Alkoholpolitik widerspricht direkt einer der hartnäckigsten Behauptungen der Alkoholindustrie: dass die Gesundheitsrisiken des Alkohols auf eine kleine Minderheit von problematischen Alkoholkonsument*innen beschränkt seien.
Es ist eine Tatsache, dass selbst ›mäßiger Alkoholkonsum‹ das Risiko für Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht«, sagt Dr. Gauden Galea, Strategischer Berater des Regionaldirektors und Leiter der Sonderinitiative Nichtübertragbare Krankheiten und Innovation bei WHO/Europa. »Selbst geringer Alkoholkonsum birgt Risiken und kann zu Schäden führen.«
Die Industrie stellt die alkoholbedingten Schäden oft als komplex dar und befürwortet gezielte Lösungen wie Programme für sicheres Fahren und den Einsatz von Wegfahrsperren bei wegen Trunkenheit am Steuer verurteilten Wiederholungstäter*innen. Sie behauptet, dass die Allgemeinbevölkerung nur einem minimalen Risiko ausgesetzt sei. Dr. Galeas Fazit lautet:
Das Handbuch zur Alkoholpolitik bietet Regierungen und Akteur*innen im Gesundheitsbereich ein wichtiges Instrument, um die Evidenz zum Alkoholkonsum kritisch zu bewerten und die Behauptungen der Industrie zu widerlegen. Dies ermöglicht es ihnen, fundierte Entscheidungen zu treffen und wirksame, evidenzbasierte Konzepte einzuführen, bei denen das Wohlergehen der Gesellschaft Vorrang vor den Gewinnen der Industrie hat.«
Aufruf zum Handeln
Dr. Carina Ferreira-Borges, Regionalbeauftragte für Alkohol, illegale Drogen und Gesundheit im Strafvollzug bei der WHO/Europa, erklärte: »Fragen zum Thema Alkohol werden unterschiedlich beantwortet, je nachdem, ob die Sichtweise vom Gemeinwohl oder vom Profit bestimmt wird. So wollen Gesundheitsschützer*innen alkoholbedingte Schäden verhindern, während die Alkoholindustrie nach Gewinnmaximierung strebt.« Dr. Ferreira-Borges fügt hinzu:
Indem wir den Einfluss der Alkoholindustrie auf die Politik bekämpfen, können wir Ressourcen von der Behandlung vermeidbarer Schäden auf Investitionen in gesündere und produktivere Gesellschaften verlagern.«
Das Handbuch zur Alkoholpolitik ist ein wichtiges Instrument, um die Ziele des Handlungsrahmens für die Alkoholpolitik in der Europäischen Region der WHO (2022 – 2025) und des Globalen Aktionsplans Alkohol (2022 – 2030) der WHO zu erreichen, indem sichergestellt wird, dass die öffentliche Gesundheit Vorrang vor kommerziellen Interessen erhält.
Angesichts der Tatsache, dass die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung in Bezug auf nichtübertragbare Krankheiten bis 2030 erreicht werden sollen und dass die vierte hochrangige Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten im Jahr 2025 vorbereitet wird, wird es immer dringlicher, rascher zu handeln.
WHO/Europa fordert die Regierungen der Länder der Europäischen Region und die Akteur*innen des Gesundheitswesens nachdrücklich auf, die Umsetzung von Maßnahmen zu beschleunigen, mit denen so viele Menschenleben wie möglich gerettet werden können, insbesondere von Maßnahmen zur wirksamen Bekämpfung alkoholbedingter Schäden.
Alkohol neu definieren für ein gesünderes, sichereres und glücklicheres Europa
»Alkohol neu definieren« ist ein Aufruf zum Handeln, der die Menschen dazu anregen soll, ihren Umgang mit Alkohol zu überdenken, mehr über die gesundheitlichen Risiken und Schäden von Alkohol zu erfahren und die Vorteile eines geringeren Alkoholkonsums in Betracht zu ziehen. Diese Initiative stützt sich auf die neuesten Forschungsergebnisse und Erkenntnisse aus der Praxis, auf Expertenbefragungen und die Einbeziehung von Menschen mit eigenen Erfahrungen, auf die Perspektiven junger Menschen und auf die der Gemeinschaften und regt Menschen in ganz Europa dazu an, über die bestehenden Erzählungen und Mythen rund um das Thema Alkohol nachzudenken und sie zu überdenken.
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6 Gründe, warum der neue WHO-Kommentar zu den Gesundheits- und Krebsrisiken von niedrig dosiertem Alkoholkonsum ein Wendepunkt ist
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat in der Fachzeitschrift The Lancet Public Health einen Kommentar veröffentlicht: Beim Alkoholkonsum gibt es keine sichere Menge, die der Gesundheit nicht schadet.
In ihrer Stellungnahme analysiert Kristína Šperková die WHO-Erklärung und nennt sechs Gründe, warum diese neue WHO-Publikation einen Wendepunkt darstellt. Kristína berichtet über die Schlüsselbotschaften, die sie für besonders bedeutsam hält, was der neue WHO-Konsens bedeutet und wie sie diesen neuen Kommentar nutzen wird.
Quelle: Medienmitteilung der Weltgesundheitsorganisation Europa