Screenshot der Live-Übertragung aus dem Plenarsaal des Bundestags am 4. Juli 2024 um 20.23 Uhr.

Der Bundestag hat am 4. Juli 2024 einen Antrag mit dem Titel »Prävention stärken – Kinder mit psychisch oder suchtkranken Eltern unterstützen« beschlossen, der von den Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gemeinsam eingebracht wurde. Der Antrag wurde zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen.

Antrag der vier Fraktionen

Ziel des Antrags der vier Fraktionen ist es, Kinder von suchtkranken oder psychisch kranken Eltern besser zu unterstützen. Expert*innen schätzen, dass dies in Deutschland etwa jedes vierte Kind betrifft.

Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, denn Kinder und Jugendliche aus Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil tragen ein drei- bis vierfach erhöhtes Risiko, selbst psychisch zu erkranken. Etwa die Hälfte der Kinder und Jugendlichen in kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung hat mindestens ein psychisch erkranktes Elternteil«, erläutern die Fraktionen in dem Antrag.

Sie verweisen auch auf die Corona-Pandemie, die das Problem noch verschärft habe. Die Abgeordneten fordern die Bundesregierung deshalb unter anderem auf, die Empfehlung Nr. 18 der Interdisziplinären Arbeitsgruppe zur Verbesserung der Situation von Kindern und Jugendlichen aus Familien mit psychisch kranken Eltern umzusetzen.

Die Empfehlung besagt, gemeinsam mit den Ländern, den Kommunen und den Sozialversicherungsträgern einen Handlungsrahmen für ein kommunales Gesamtkonzept zur Entwicklung, Umsetzung, Evaluation und Verstetigung multiprofessioneller, qualitätsgesicherter und rechtskreisübergreifender Hilfesysteme zu erstellen.«

Außerdem soll das Präventionsgesetz mit Blick auf die Förderung der seelischen Gesundheit, auf Familienorientierung und die Belange von Kindern mit psychisch oder suchtkranken Eltern sowie auf eine Stärkung der Verhältnisprävention bei Suchtmitteln insgesamt weiterentwickelt werden.

Positive Reaktionen der Zivilgesellschaft

Titelseite des Buches 'De Suchtkreislauf durchbrechen'.
Ein weiter Weg von meiner Broschüre ›Mein Kind hat nix gemerkt‹ (1992) über das Guttempler-Projekt ›Den Suchtkreislauf durchbrechen‹ (1999), die Gründung von NACOA Deutschland e. V. (2004), darauf folgende Kongresse und schließlich die jährlichen Aktionswochen für Kinder aus suchtbelasteten Familien fand heute im Bundestag einen ersten Zwischenhalt«, freut sich Frank Lindemann für die Guttempler*innen in Deutschland.

Und natürlich begrüßt auch NACOA Deutschland diesen aktuellen Vorstoß der Ampel- und Unionsfraktionen zur besseren Unterstützung von Kindern suchtkranker und psychisch kranker Eltern. Vorstandsmitglied Philip Kramme betonte aber auch:

Entscheidend ist, dass nach der Verabschiedung des Antrags durch den Deutschen Bundestag den Worten auch Taten folgen. Knappe Kassen dürfen nicht dazu führen, dass bei den Schwächsten unserer Gesellschaft, den Kindern suchtkranker und psychisch kranker Eltern, gespart wird.«

Der Antrag, der am Donnerstagabend vom Deutschen Bundestag an die Ausschüsse überwiesen wurde, betont die Notwendigkeit, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu erweitern, um eine bedarfsgerechte und kontinuierliche Versorgung auch in Kindertagesstätten und Schulen anzubieten. NACOA Deutschland setzt sich seit 20 Jahren für die Unterstützung von Kindern aus suchtbelasteten Familien ein und sieht in dieser Initiative einen wichtigen Fortschritt.

Wenn Eltern suchtkrank sind, leiden ihre Kinder.«
Philip Kramme, NACOA

Eine Kindheit im Schatten der elterlichen Sucht sei geprägt von ständiger Angst, Unsicherheit, fehlender emotionaler Zuwendung und Geborgenheit. »Das Risiko, als Erwachsener selbst suchtkrank zu werden, ist bis zu sechsmal höher als bei Kindern aus suchtfreien Familien«. NACOA Deutschland bietet verschiedene Unterstützungsangebote und Projekte an, darunter die im interfraktionellen Antrag erwähnte Online- und Telefonberatung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sowie COA.KOM, die Vernetzungsplattform für Fachkräfte, die mit Kindern aus suchtbelasteten Familien arbeiten. Darüber hinaus ist NACOA mit dem Präventionsprogramm »Fluffi-Klub« bereits in Kindertagesstätten aktiv.

NACOA begrüßt insbesondere, dass die Antragsteller*innen die Bundesregierung auffordern, eine »langfristig und nachhaltig wirkende Entstigmatisierungskampagne für Familien mit psychisch oder suchtkranken Eltern zu starten« und dazu aufrufen, bestehende Strukturen wie die jährlich von NACOA organisierte COA-Aktionswoche zu nutzen. Mit der Aktionswoche 2023 unter dem Motto »Schluss mit dem Stigma« haben NACOA und die beteiligten Institutionen und Personen bereits auf Stigmatisierungserfahrungen betroffener Kinder aufmerksam gemacht.

Denn Kinder aus suchtbelasteten Familien leiden nicht nur unter der Erkrankung der Eltern, sondern auch unter der Stigmatisierung von Suchterkrankungen. Die Kinder sprechen selten von sich aus über ihre Eltern, sondern glauben, sich für ihre familiäre Situation schämen zu müssen oder gar eine Mitschuld an der Suchterkrankung des Vaters oder der Mutter zu tragen. Deshalb bleibt ihr Leiden oft unentdeckt. Aufklärungsmaßnahmen, wie sie bereits im interfraktionellen Antrag des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2017 gefordert wurden, können hier Abhilfe schaffen.

»Wir sind Millionen!«

Porträt einer rufenden jungen Frau in einer Menschenmenge mit dem Logo der Aktionswoche für Kinder aus suchtbelasteten Familien und dem Hashtag 'Wir sind Millionen'.

Aufruf zur 15. Bundesweiten Aktionswoche für Kinder aus suchtbelasteten Familien vom 18. bis 24. Februar 2024.

Etwa jedes fünfte Kind in Deutschland wächst mit einem suchtkranken Elternteil auf, das sind knapp drei Millionen Kinder und Jugendliche. Rund sechs Millionen Erwachsene sind in einer suchtbelasteten Familie groß geworden.

Aktionsbündnis für Kinder aus Suchtfamilien fordert Senkung des Alkoholkonsums

Poster zur CoA-Aktionswoche 2015

Circa 2,65 Millionen Kinder wachsen in Deutschland mit suchtkranken Eltern auf. Sie sind die größte bekannte Risikogruppe für eine eigene Suchterkrankung und lebenslang hoch­gefährdet, psychische Krankheiten sowie soziale Störungen zu entwickeln. Kinder aus Suchtfamilien sind noch immer vergessene Kinder, die durch die Maschen der bestehenden Hilfesysteme allzu oft hindurchrutschen.