Alle Lebensmittel- und Getränkehersteller*innen in der EU müssen Zutaten und Nährwertangaben auf dem Etikett angeben.
Alle?
Nicht ganz.
Die Alkoholindustrie ist davon ausgenommen … vorerst. Emma Calvert, Direktorin für Lebensmittelpolitik beim Europäischen Verbraucherverband BEUC, enthüllt, wie offizielle Sitzungsdokumente beweisen, dass die intensive Lobbyarbeit der Industrie bei der EU-Kommission eine Sonderbehandlung bei der Alkoholkennzeichnung aufrechterhält, die den Verbraucher*innen schadet.
Wie möchten Sie im Supermarkt Zutaten oder Nährwertangaben finden? Nach einem QR-Code auf dem Lebensmittel suchen, das Handy zücken, die Kamera-App öffnen, den QR-Code scannen, warten, bis die Seite geladen ist (natürlich nur, wenn Sie ein Smartphone mit ausreichender Internetverbindung haben) und dann scrollen und klicken, um die relevanten Informationen zu finden?
Oder möchten Sie diese Informationen direkt auf dem Etikett sehen?
Es liegt auf der Hand, dass nur eine der beiden Möglichkeiten für die Verbraucher*innen in einer geschäftigen Einkaufsumgebung praktikabel ist. Die andere ist eine Reihe von komplizierten Hindernissen, die dazu dienen, nützliche Informationen für die Durchschnittsverbraucher*innen unzugänglich zu machen. Nichtsdestotrotz ist die Option der »komplizierten Hürden« diejenige, für die sich die Alkoholindustrie bei den politischen Entscheidungsträger*innen eingesetzt hat.
Im Jahr 2023 haben wir einen Antrag auf Zugang zu Dokumenten gestellt, dessen Ergebnisse das Ausmaß der Bemühungen der Alkohollobbyist*innen zeigen. Als die Europäische Kommission im Februar 2021 ihren Plan zur Krebsbekämpfung ankündigte, wurde sie von der Alkoholindustrie mit E-Mails und Sitzungsanträgen überhäuft, in denen sie Flexibilität und die Zulassung »digitaler Etiketten« forderte.
Alkoholpolitik nimmt Schlüsselrolle bei Krebsbekämpfung ein
Die Europäische Kommission hat den »Europe's Beating Cancer Plan« ins Leben gerufen. Der ehrgeizige Plan zielt darauf ab, die Krebsbelastung in der Europäischen Union für Patient*innen, ihre Familien und die Gesundheitssysteme zu reduzieren. Er wird krebsbedingte Ungleichheiten zwischen und innerhalb der EU-Mitgliedstaaten mit Maßnahmen zur Unterstützung, Koordinierung und Ergänzung der Bemühungen der Mitgliedstaaten angehen. Prävention im Allgemeinen und alkoholpolitische Lösungen im Besonderen sind zentrale Elemente bei den Bemühungen, Krebs in der EU zu besiegen. Europas Plan zur Krebsbekämpfung enthält das Ziel, den Pro-Kopf-Alkoholkonsum bis 2025 um – mindestens – 10 % zu senken, wie es die Länder bereits 2015 bei der Verabschiedung der Agenda 2030 und der Ziele für nachhaltige Entwicklung vereinbart hatten.
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Warum die Ausnahme für Alkohol?
Sie werden sich vielleicht fragen, warum Alkoholhersteller*innen nicht schon längst die gesetzlichen Anforderungen erfüllen müssen, die für alle anderen Lebensmittel- und Getränkehersteller*innen gelten. Das heißt, sie müssen die Inhaltsstoffe und Nährwerte auf dem Etikett angeben. Das ist eine gute Frage. Es gibt keinen triftigen sachlichen Grund, Alkohol von der Kennzeichnungspflicht auszunehmen. Wie bei vielen Anomalien im Lebensmittelrecht liegt die Antwort bei den Lobbys. Als die Entscheidungsträger*innen 2011 über die Verordnung zur Information der Verbraucher*innen über Lebensmittel verhandelten, drängte die Alkoholindustrie vehement (und erfolgreich) darauf, von der Pflicht zur Angabe der Inhaltsstoffe und Nährwerte auf dem Etikett ausgenommen zu werden.
Es gibt keinen triftigen sachlichen Grund, Alkohol von der Kennzeichnungspflicht auszunehmen. Wie bei vielen Anomalien im Lebensmittelrecht liegt die Antwort bei den Lobbys.«
All dies hat zu der merkwürdigen Situation geführt, dass man den Zuckergehalt einer Coladose auf dem Etikett ablesen kann, aber sobald man dem Produkt Whiskey hinzufügt (wie bei Dosen mit vorgemischten Spirituosen), verflüchtigt sich diese Information. Eine Situation, die vielen Alkoholhersteller*innen sehr gelegen kommt. Denn der Whiskey-Cola-Mix enthält genauso viel Zucker wie eine normale Cola, aber fast doppelt so viele Kalorien (wegen des hohen Brennwerts des Alkohols). Eine Information, die viele Verbraucher*innen interessiert.
Es besteht jedoch ein wachsender Konsens darüber, dass diese Sonderbehandlung einer gesundheitsschädlichen Industrie nicht länger haltbar ist. Die Europäische Kommission kommt zu dem Schluss, dass es »keine objektiven Gründe« gibt, die dies rechtfertigen, und hat sich 2021 dazu verpflichtet, solche Informationen zum ersten Mal verbindlich vorzuschreiben.
Das war das Stichwort für die intensive Lobbyarbeit der Alkoholkonzerne, die entschlossen waren, eine gewisse Sonderbehandlung beizubehalten und gleichzeitig einige schwache Schritte zur Selbstregulierung anzubieten. Nämlich, dass sie diese Informationen zur Verfügung stellen würden. Der Haken? Man muss online gehen, um sie zu bekommen. Das ist nicht so einfach, wenn man das Telefon in der einen und die Flasche in der anderen Hand hält und das Kind gerade durch den Snackgang rennt.
Wissenschaftliche Studien der EU-Forschungsstelle (auch bekannt als Gemeinsame Forschungsstelle), die von der Europäischen Kommission in Auftrag gegeben wurden, unterstreichen, dass die Bereitstellung von Verbraucherinformationen ausschließlich in digitaler Form »riskant« ist und dass »Verpackungsetiketten immer noch die beste Lösung zu sein scheinen«.
Intensive Lobbyarbeit der Alkoholindustrie
Unser Antrag auf Zugang zu Dokumenten zeigt, wie intensiv die Lobbyarbeit der Alkoholindustrie ist. Bereits eine Woche nach der Veröffentlichung des Plans zur Krebsbekämpfung traf sich CEEV, die größte Lobby der europäischen Weinindustrie, mit der Generaldirektion Landwirtschaft und Ernährung. Nur drei Tage später teilte die CEEV der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz mit, dass es »nicht möglich sein wird, die Informationen auf dem Etikett übersetzen zu lassen«, während alle anderen Lebensmittel- und Getränkehersteller*innen dies tun können.
Angesichts der Anzahl von Lobbytreffen mit der Alkoholindustrie ist es vielleicht nicht so überraschend, dass sich die Haltung der Kommission geändert hat.«
Die Zahl der Treffen zwischen der Kommission und der Zivilgesellschaft zum Thema Alkoholkennzeichnung war im Vergleich zu den Treffen mit der Industrie verschwindend gering. Auf unseren Antrag auf Zugang zu Dokumenten hin erklärten die Generaldirektionen AGRI und SANTE der Kommission, dass von Mai 2020 bis Dezember 2023 22 Treffen mit der Spirituosen-, Wein- und Bierindustrie stattgefunden haben, aber kein einziges Treffen mit der Zivilgesellschaft.
Neuer Bericht deckt Einmischung der Alkoholindustrie in der Europäischen Union auf
»Uncorking Big Alcohol in the EU« – Eine Bestandsaufnahme der europäischen Alkoholindustrie und ihrer Lobbyarbeit gegen die öffentliche Gesundheit in den EU-Institutionen. Der neue Bericht zeigt, dass sich die EU-Kommission zur Alkoholpolitik 19 Mal häufiger mit der Alkoholindustrie als mit der Zivilgesellschaft trifft.
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Angesichts der zahlreichen Lobbytreffen mit der Alkoholindustrie ist es vielleicht nicht so überraschend, dass sich die Haltung der Kommission geändert hat. Angefangen bei der Mitteilung an die Weinindustrie (CEEV) im Februar 2021, dass »der Ansatz der Selbstregulierung nicht funktioniert«, bis hin zu einem Strategiegespräch mit spiritsEUROPE im Januar 2023, in dem sie die Industrie aufforderte, »darüber nachzudenken, welche anderen Sektoren potenzielle Verbündete für die digitale Kennzeichnung sein könnten«.
Zutaten und Nährwertangaben sind wichtig
Zusätzlich zu diesen Sitzungen hatten die Alkoholerzeuger*innen die Möglichkeit, ihre Argumente in den »Gruppen für den zivilen Dialog« mit der Generaldirektion Landwirtschaft vorzutragen. Bei diesen Stakeholder-Diskussionen sind aufgrund mangelnder Ressourcen nur wenige Vertreter*innen der Zivilgesellschaft anwesend, aber viele Vertreter*innen der Industrie, die bereit sind, das Wort zu ergreifen. Bei einem dieser Treffen erklärte spiritsEUROPE, dass »für die überwiegende Mehrheit der Spirituosen weder Zutatenlisten noch Nährwertangaben besonders hilfreich sind, da klare Spirituosen im Wesentlichen drei Zutaten enthalten und Nährwertangaben voller Nullen sind«. Diese Behauptung ist falsch. Wenn das stimmen würde, hätte die Spirituosenindustrie dann so viel Zeit investiert, um zu verhindern, dass die Verbraucher*innen diese Informationen zu Gesicht bekommen?
Während zum Beispiel irische Whiskeyproduzent*innen ihre Flaschen gerne mit Geschichten über handwerkliches Können schmücken, sind sie bei der Angabe der Zutatenliste etwas zurückhaltender. Die attraktive Bernsteinfarbe stammt oft nicht von Whiskeyfässern, sondern von einem Karamellfarbstoff (E150), selbst bei Whiskeys mit der geschützten Ursprungsbezeichnung »(g. g. A.)«.
Und in einer Zeit, in der jede*r zweite Erwachsene in Europa übergewichtig ist, sind Nährwertangaben ein wichtiges Instrument, um den Verbraucher*innen zu helfen, sich für kalorienärmere Getränke zu entscheiden. Es gibt eine breite Palette von Erfrischungsgetränken mit unterschiedlichen Nährwertprofilen (zum Beispiel Säfte und Milchgetränke). Ähnlich verhält es sich mit alkoholischen Produkten, die unterschiedliche Gehalte an Zucker, gesättigten Fettsäuren oder Natrium aufweisen (zum Beispiel variiert der Gehalt von Sahnelikör, Dessertwein und Lagerbier erheblich). Die Verbraucher*innen müssen über diese Unterschiede informiert werden.
Was nun? Die Kommission muss bei der Alkoholkennzeichnung mutig sein
Die Europäische Kommission hat sich verpflichtet, bis Ende 2022 einen Gesetzesvorschlag vorzulegen, der die Alkoholhersteller*innen dazu verpflichtet, Informationen über die Inhaltsstoffe und den Nährwert von Alkohol bereitzustellen. Nach einer Flut von Lobbyarbeit seitens der Alkoholhersteller*innen ist der Vorschlag nun mehr als ein Jahr überfällig, so dass die Verbraucher*innen immer noch im Unklaren darüber sind, was in der Flasche ist.
Die Information der Verbraucher*innen wird zwar nie ein Allheilmittel gegen den übermäßigen Konsum ungesunder Lebensmittel und Getränke wie Alkohol sein, aber sie ist ein wesentlicher Bestandteil, der nicht ignoriert werden darf. Es ist höchste Zeit, dass die Kommission nüchterner wird und endlich die Sonderbehandlung von Alkoholprodukten beendet. Sie muss dafür sorgen, dass Informationen dort gegeben werden, wo die Verbraucher*innen sie gebrauchen können: auf der Flasche.
EU-Kommission zum Weltkrebstag: Alkohol ist ein ernstzunehmendes Karzinogen
Die Bekämpfung von Krebs ist eine der wichtigsten gesundheitspolitischen Prioritäten der Europäischen Kommission. Drei Jahre nach der Verabschiedung des Europäischen Plans zur Krebsbekämpfung lud Stella Kyriakides, EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, zu einer hochrangigen Veranstaltung anlässlich des Weltkrebstages ein. Die Veranstaltung machte erneut deutlich, dass Alkohol als Hauptursache von Krebs bekämpft werden muss und dass die Alkoholpolitik eine wichtige Maßnahme zur Krebsprävention darstellt. Seit dem Start des Europäischen Plans zur Krebsbekämpfung hat die Alkoholindustrie die Bemühungen zur Krebsprävention in der Europäischen Kommission und im Europäischen Parlament angegriffen.
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Lobbyarbeit gegen das Krebsrisiko von Alkohol: Unterwegs auf den Fluren des Europäischen Parlaments
Von Eurocare vor der Abstimmung des ENVI-Ausschusses verteiltes Flugblatt
Im Februar 2021 stellte die Europäische Kommission ihren ehrgeizigen Plan zur Krebsbekämpfung vor: eine mutige Initiative, die darauf abzielt, im Kampf gegen Krebs nichts unversucht zu lassen. Als Teil dieses umfassenden Plans hat die Kommission einen Fahrplan für die Umsetzung vorgelegt, der Maßnahmen wie die obligatorische Kennzeichnung der Inhaltsstoffe und Nährwertangaben auf alkoholischen Getränken sowie einen Legislativvorschlag für Gesundheitswarnungen auf diesen Produkten umfasst. Die umfassenderen Bemühungen zur Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten werden in einer weiteren Initiative der Kommission, der EU-Initiative für nichtübertragbare Krankheiten – »Gemeinsam gesünder« – ausführlich beschrieben.
Quelle: The BEUC blog
Übersetzt mit www.DeepL.com