Was taugen die Krankenhausdiagnosestatistiken bei der Wirksamkeitsbeurteilung von Maßnahmen staatlicher Alkoholkontrollpolitik?

Theo Baumgärtner, Leiter des Büros für Suchtprävention der Hamburgischen Landesstelle für Suchtfragen, hat in seinem jüngst veröffentlichten Bericht »Alkoholintoxikationen 2000 bis 2010 bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in der Bundesrepublik Deutschland« untersucht, ob Testkäufe zur Kontrolle des Jugendschutzes und nächtliche Verkaufsverbote für Alkohol in Baden-Württemberg zu einem Rückgang von Krankenhausbehandlungen wegen Alkoholvergiftung führen. Das Ergebnis überrascht wenig: Ein Zusammenhang ist nicht erkennbar. Das war auch nicht zu erwarten. Jugendschutz und nächtliche Verkaufsverbote sind dennoch sehr wohl wirksam. Die Regulierung führt zu weniger Alkoholkonsum in Risikogruppen (Jugendliche) und zu Risikozeiten (nachts) und damit zu weniger Unfällen und weniger Vandalismus und Gewalt.

Die zentralen Ergebnisse im Kurzüberblick

»Auf der Basis der vom Bundesamt für Statistik zur Verfügung gestellten Diagnosedaten der in den Krankenhäusern wegen ›psychischer und Verhaltensstörungen durch Alkohol – Akute Intoxikation‹ vollstationär behandelten PatientInnen lassen sich mit Blick auf die Fallzahlentwicklung im Zeitraum von 2000 bis 2010 folgende Feststellungen treffen:

  • Sowohl auf der Bundesebene als auch in allen Ländern hat die Zahl alkoholintoxikierter PatientInnen in den Krankenhäusern kontinuierlich zugenommen.
  • Im Zeitraum von 2000 bis 2010 ist die Zahl der Betroffenen pro 100.000 EinwohnerInnen bundesweit um das 2,5-Fache angestiegen.
  • Alkoholintoxikationen bzw. das starke Anwachsen ihrer jährlich registrierten Fallzahl in der zurück liegenden Dekade sind kein auf die Jugendgeneration beschränktes Phänomen: Wenn auch unterschiedlich stark ausgeprägt, so lassen sich in allen Altersgruppen spürbare Zuwächse verzeichnen.
  • Im Ländervergleich ergeben sich bezogen auf die Alterskohorte der 10- bis unter 20-Jährigen systematische Stadt-Land-Unterschiede. So liegen die Alkoholintoxikationsquoten in den Flächenstaaten tendenziell oberhalb, in den Stadtstaaten dagegen eher unterhalb der Werte für die gesamte Bundesrepublik Deutschland.
  • Ebenfalls augenfällig wird ein Nord-Süd-Gefälle: Die Alkoholintoxikationsraten für die Altersgruppe der 15- bis unter 20-Jährigen in den norddeutschen Flächenstaaten fallen durchweg niedriger aus als in den südwestlich gelegenen Bundesländern.
  • Bei einem Vergleich der Daten zu den minderjährigen AlkoholpatientInnen der Jahre 2009 und 2010 ergeben sich zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Tendenziell nimmt die Zahl der betroffenen Mädchen und jungen Frauen ab, während sie bei den männlichen Altersgenossen um etwa den selben Betrag ansteigt.
  • Bezüglich der Frage, ob und wie sich das in einigen Bundesländern etablierte Instrument des Einsatzes jugendlicher Testkäufer auf die dortige Fallzahlentwicklung der alkoholintoxikierten Jugendlichen auswirkt, muss festgestellt werden, dass sich aus den Krankenhausdiagnosestatistiken keine empirisch gestützten Hinweise auf die Wirksamkeit dieser Maßnahme ableiten lassen. Das Gleiche gilt im Übrigen auch mit Blick auf das in Baden-Württemberg im März 2010 eingeführte nächtliche Alkoholverkaufsverbot für Tankstellen, Kioske und Supermärkte. Vor diesem Hintergrund mögen die Daten der Krankenhausdiagnosestatistiken durchaus berechtigten Anlass zur Verstärkung der Strategien staatlicher Alkoholkontrollpolitik geben – als Beleg für deren Erfolg taugen sie indes nicht.«

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