Forscher*innen der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) haben ein Protein-Gel entwickelt, das Alkohol im Magen-Darm-Trakt abbaut, ohne dem Körper zu schaden. Wer das Gel einnimmt, könnte in Zukunft die gesundheitsschädigende und berauschende Wirkung von Alkohol reduzieren.
Autor*innen: Jiaqi Su, Pengjie Wang, Wei Zhou, Mohammad Peydayesh, Jiangtao Zhou, Tonghui Jin, Felix Donat, Cuiyuan Jin, Lu Xia, Kaiwen Wang, Fazheng Ren, Paul Van der Meeren, F. Pelayo García de Arquer & Raffaele Mezzenga
Zitierung: Su, J., Wang, P., Zhou, W. et al. Single-site iron-anchored amyloid hydrogels as catalytic platforms for alcohol detoxification. Nat. Nanotechnol. (2024). https://doi.org/10.1038/s41565-024-01657-7
Quelle: Nature Nanotechnology
Datum der Veröffentlichung: 13. Mai 2024
Mit Eisen verankerte Amyloid-Hydrogele als katalytische Plattformen für die Alkoholentgiftung
Alkohol gelangt vor allem über die Magenschleimhaut und den Darm ins Blut. Die Folgen sind heute unbestritten: Bereits geringe Mengen Alkohol beeinträchtigen die Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit und erhöhen das Unfallrisiko. Wer regelmäßig größere Mengen trinkt, schadet seiner Gesundheit: Lebererkrankungen, Entzündungen im Magen-Darm-Trakt oder Krebs sind häufige Folgen. Laut Weltgesundheitsorganisation sterben jährlich rund 3 Millionen Menschen an den Folgen des Alkoholkonsums.
ETH-Forscher*innen haben nun ein Protein-Gel entwickelt, das Alkohol bereits im Magen-Darm-Trakt abbaut. In einer kürzlich in der Fachzeitschrift »Nature Nanotechnology« publizierten Studie zeigen sie an Mäusen, dass das Gel Alkohol schnell, effizient und direkt in harmlose Essigsäure umwandelt, bevor dieser ins Blut gelangt und dort seine berauschende und gesundheitsschädigende Wirkung entfalten kann.
Verringerung alkoholbedingter Gesundheitsschäden
Das Gel verlagert den Alkoholabbau von der Leber in den Verdauungstrakt. Im Gegensatz zum Alkoholstoffwechsel in der Leber entsteht dabei nicht das schädliche Zwischenprodukt Acetaldehyd«, erklärt Raffaele Mezzenga, Professor für Lebensmittel und weiche Materialien an der ETH Zürich.
Acetaldehyd ist giftig und für viele Gesundheitsschäden durch Alkoholkonsum verantwortlich.
Es ist gesünder gar keinen Alkohol zu trinken.«
Prof. Raffaele Mezzenga, ETH Zürich
Das Gel könnte daher in Zukunft vor oder während des Alkoholkonsums oral eingenommen werden, um zu verhindern, dass der Blutalkoholspiegel ansteigt und Acetaldehyd den Körper schädigt. Im Gegensatz zu vielen auf dem Markt erhältlichen Produkten bekämpft das Gel damit nicht nur die Symptome des schädlichen Alkoholkonsums, sondern auch dessen Ursachen. Allerdings wirkt das Gel nur, solange sich der Alkohol noch im Magen-Darm-Trakt befindet, es kann also bei einer Alkoholvergiftung nicht mehr helfen, wenn sich der Alkohol bereits im Blut befindet. Es hilft auch nicht, den Alkoholkonsum generell zu reduzieren.
Es ist gesünder, gar keinen Alkohol zu trinken. Das Gel könnte aber vor allem für Menschen interessant sein, die nicht ganz auf den Alkohol verzichten möchten, ihren Körper aber nicht belasten wollen und sich nicht für die Wirkung des Alkohols interessieren«, betont Mezzenga.
Hauptbestandteile: Molke, Eisen und Gold
Für die Herstellung des Gels verwendeten die Forscher*innen gewöhnliche Molkenproteine. Diese wurden mehrere Stunden lang gekocht, so dass sich lange, dünne Fasern bildeten. Durch die Zugabe von Salz und Wasser als Lösungsmittel vernetzen sich die Fasern zu einem Gel. Der Vorteil eines Gels gegenüber anderen Darreichungsformen ist, dass es sehr langsam verdaut wird. Damit das Gel den Alkohol abbauen kann, braucht es allerdings noch mehrere Katalysatoren.
Als Hauptkatalysator setzten die Forscher*innen einzelne Eisenatome ein, die sie gleichmäßig auf der Oberfläche der langen Proteinfasern verteilten.
Wir haben die Fasern quasi in ein Eisenbad getaucht, damit sie effizient mit dem Alkohol reagieren und ihn in Essigsäure umwandeln können«, sagt ETH-Forscherin Jiaqi Su, die Erstautorin der Studie.
Um diese Reaktion im Magen auszulösen, werden winzige Mengen Wasserstoffperoxid benötigt. Diese werden durch eine vorgeschaltete Reaktion zwischen Glukose und Goldnanopartikeln erzeugt. Als Katalysator für das Wasserstoffperoxid wählten die Forscher*innen Gold, weil das Edelmetall nicht verdaut wird und deshalb im Verdauungstrakt länger wirksam bleibt. All diese Substanzen – Eisen, Glukose und Gold – haben die Forscher*innen in das Gel eingebracht. So ermöglichten sie eine mehrstufige enzymatische Reaktionskaskade, an deren Ende Alkohol in Essigsäure umgewandelt wird.
Bei Mäusen wirkt das Gel
Die Forscher*innen testeten die Wirksamkeit des neuen Gels an Mäusen, denen einmalig Alkohol verabreicht wurde, und an Mäusen, die zehn Tage lang regelmäßig Alkohol erhielten. Dreißig Minuten nach der einmaligen Alkoholgabe senkte die prophylaktische Anwendung des Gels den Blutalkoholspiegel der Mäuse um vierzig Prozent. Fünf Stunden nach der Alkoholaufnahme war ihr Blutalkoholspiegel im Vergleich zur Kontrollgruppe sogar um 56 Prozent gesunken. Gleichzeitig sammelte sich bei diesen Mäusen weniger schädliches Acetaldehyd an und die Stressreaktionen der Leber waren deutlich abgeschwächt, was sich in besseren Blutwerten widerspiegelte.
Bei den Mäusen, die zehn Tage lang Alkohol erhielten, konnten die Forscher*innen neben einem niedrigeren Blutalkoholspiegel auch eine anhaltende therapeutische Wirkung des Gels nachweisen: Die Mäuse, die zusätzlich zum Alkohol täglich das Gel erhielten, zeigten einen deutlich geringeren Gewichtsverlust, weniger Leberschäden und damit einen besseren Fettstoffwechsel in der Leber sowie bessere Blutwerte. Auch andere Organe wie Milz oder Darm sowie das Gewebe der Mäuse wiesen deutlich weniger alkoholbedingte Schäden auf.
Patent angemeldet
Dass Eisen mit Alkohol zu Essigsäure reagiert, hatten die Forscher*innen bereits in einer früheren Studie zur Verabreichung von Eisen über Molkenproteinfasern entdeckt. Da dieser Prozess damals zu langsam und zu schwach war, änderten sie die Form, in der sie das Eisen an die Proteinfasern banden.
Statt größerer Nanopartikel haben wir uns für einzelne Eisenatome entschieden, die sich gleichmäßiger auf der Oberfläche der Fasern verteilen und deshalb besser und schneller mit dem Alkohol reagieren«, erklärt ETH-Professor Mezzenga.
Die Forscher*innen haben das Gel bereits zum Patent angemeldet. Bis es für den Menschen zugelassen wird, sind allerdings noch einige klinische Tests nötig. Da die Forscher*innen aber bereits gezeigt haben, dass die Molkenproteinfasern, aus denen das Gel besteht, essbar sind, sind sie zuversichtlich, dass auch dieser Schritt gelingen wird.
* Im 24. Jahrhundert wird Synthehol als Alkoholersatz auf den Raumschiffen der Sternenflotte ausgeschenkt.
Quelle: Medienmitteilung der ETH Zürich