Krankenwagen und Rettungshubschrauber im Einsatz.Bild von Alfred Koll bei Pixabay

Die COVID-19-Pandemie wurde mit Veränderungen des Alkoholkonsums, des Zugangs zu Gesundheitsdiensten und alkoholbedingten Schäden in Verbindung gebracht. In diesem Beitrag beziffern die Forscher*innen die Veränderungen der alkoholbedingten Mortalität und der Krankenhauseinweisungen bei Ausbruch der COVID-19-Pandemie im März 2020 in Deutschland.

Autor:innen: Jakob Manthey (E-Mail: ), Carolin Kilian, Ingo Schäfer, Marielle Wirth, Bernd Schulte

Zitierung: Jakob Manthey and others, Changes in the alcohol-specific disease burden during the COVID-19 pandemic in Germany: interrupted time series analyses, European Journal of Public Health, Volume 33, Issue 4, August 2023, Pages 645–652, https://doi.org/10.1093/eurpub/ckad103

Quelle: European Journal of Public Health

Datum der Veröffentlichung: 26. Juni 2023

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Veränderungen der alkoholbedingten Krankheitslast während der COVID-19-Pandemie in Deutschland: Analyse unterbrochener Zeitreihen

Einleitung

Während der COVID-19-Pandemie wurde in vielen europäischen Ländern der parallele Trend eines rückläufigen Alkoholkonsums und einer sinkenden alkoholbedingten Krankheitslast unterbrochen: Die Alkoholverkäufe und der durchschnittliche Alkoholkonsum der Bevölkerung gingen zurück, während die Zahl der Menschen, die an alkoholbedingten Krankheiten (das heißt Krankheiten, die zu 100 % auf Alkohol zurückzuführen sind) starben, zunahm, zum Beispiel in Deutschland um 5 %.

Der Rückgang des Alkoholabsatzes bei gleichzeitigem Anstieg der alkoholbedingten Todesfälle wurde als COVID-19-Alkoholparadox bezeichnet. Zur Erklärung dieses Phänomens können zwei wichtige Entwicklungen herangezogen werden.

  1. Obwohl die meisten Alkoholkonsument*innen in Europa ihren Alkoholkonsum im Jahr 2020 reduziert haben, haben diejenigen, die vor der Pandemie einen sehr hohen Alkoholkonsum hatten, und diejenigen, die während COVID-19 besonders unter finanziellem und emotionalem Druck standen, ihren Alkoholkonsum sogar erhöht.
  2. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung hat sich deutlich verändert. Studien zur Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung während COVID-19 haben gezeigt, dass die Pandemie zu einem erheblichen Rückgang der Inanspruchnahme der primären Gesundheitsversorgung geführt hat, und zwar sowohl insgesamt als auch bei Personen mit alkoholbedingtem Behandlungsbedarf. Während die primäre Gesundheitsversorgung für Menschen mit alkoholbedingten Störungen teilweise durch erweiterte telemedizinische Dienste ersetzt werden konnte, wurden einige wichtige Gesundheitsdienste (zum Beispiel für Leberkrebs) unterbrochen.

Substanzkonsum und psychische Gesundheit während des ersten COVID-19 Lockdowns in Deutschland

Männerhände mit Flachmann und Tabletten hinter durchscheinenden Coronaviren

Die Forscher:innen kommen zum Schluss, dass der Alkohol-, Nikotin- und THC-Konsum bei den meisten Konsument:innen während des Lockdowns nicht zugenommen hat. Allerdings gibt es Untergruppen mit erhöhtem Substanzkonsum. Die Forscher:innen gehen davon aus, dass Personen, die während des Lockdowns unter größeren psychischen Belastungen leiden, anfälliger für einen erhöhten Konsum waren um mit den negativen Emotionen umzugehen.

Alkoholkonsum Alkoholkranker während des Covid-19-Lockdowns

Kiste mit leeren Weinflaschen

Alkoholkonsum ist weltweit eine der Hauptursachen für Mortalität und Morbidität. Mögliche negative Auswirkungen der laufenden COVID-19-Pandemie auf den Alkoholkonsum wurden bereits diskutiert. Physische Distanzierungsmaßnahmen, Ausreisebeschränkungen und veränderte Arbeits- und Familienbedingungen, die zur Eindämmung der Pandemie vorgeschrieben waren, können zu einem Anstieg des Alkoholkonsums führen, insbesondere bei Personen mit einem Risiko für Substanzkonsumstörungen.

Bislang haben sich die meisten Studien, die den Zusammenhang zwischen der Pandemie und dem Konsumverhalten untersucht haben, auf retrospektive Bewertungen gestützt, obwohl die methodischen Mängel retrospektiver Alkoholkonsumbewertungen und psychologischer Variablen hinlänglich bekannt sind. So kann mit retrospektiven Methoden der Alkoholkonsum nicht zuverlässig erfasst werden, doch können Echtzeit-Bewertungen von Alkoholkonsum mehr Trinktage, einen höheren Alkoholkonsum, eine größere Anzahl von Alkoholexzessen und eine schnellere Alkoholkonsumrate im Vergleich zu retrospektiven Alkoholberichten erfassen.

Es gibt jedoch nach wie vor kaum Erkenntnisse über den Alkoholkonsum während der Pandemie, und die Untersuchung des Gesundheitsverhaltens im wirklichen Leben ist dringend erforderlich. Um die potenziellen Einflüsse von Pandemiemaßnahmen zu quantifizieren, haben wir daher Smartphone-basierte tägliche Bewertungen von Alkoholkonsum und dessen zeitliche (Wochenenden und Feiertage) und psychologische (soziale Isolation und Trinkabsicht) Korrelate im Alltag über einen Zeitraum von fünf Monaten bei Teilnehmer:innen, die die Kriterien für eine Alkoholkonsumstörung erfüllten, erfasst.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich sowohl der Alkoholkonsum als auch die Inanspruchnahme der medizinischen Versorgung während der COVID-19-Pandemie verändert haben. Möglicherweise haben die Unterbrechungen und Verzögerungen in der medizinischen Routineversorgung zu einer Unterversorgung von Menschen mit chronischen Alkoholproblemen und damit zu einer erhöhten Morbidität und Mortalität in dieser Bevölkerungsgruppe geführt. Empirische Belege für diese Hypothese liegen aus verschiedenen europäischen Ländern vor: Die Trends bei alkoholbedingten Krankenhaus- und Notfallaufnahmen deuten auf einen Rückgang in den ersten Monaten der Pandemie in Deutschland und Großbritannien hin. Daten aus den Niederlanden legen nahe, dass der Gesamtrückgang wahrscheinlich auf einen Rückgang akuter alkoholbedingter Probleme während der Lockdowns zurückzuführen ist, als Nachtclubs geschlossen und gesellschaftliche Zusammenkünfte eingeschränkt wurden. Chronische alkoholbedingte Erkrankungen wie Alkoholabhängigkeit und alkoholbedingte Lebererkrankungen sind dagegen stabil geblieben oder haben sogar zugenommen.

Unser gegenwärtiges Verständnis des COVID-19-Alkoholparadoxons wird durch einen Mangel an Studien eingeschränkt, die die Rolle des Zugangs zur Gesundheitsversorgung bei alkoholbedingten Erkrankungen untersucht haben. Insbesondere wurde bisher nicht untersucht, wie sich die COVID-19-Pandemie auf die Krankenhauseinweisungen wegen akuter und chronischer alkoholbedingter Erkrankungen auswirkt und ob diese Veränderungen mit Veränderungen in der alkoholbedingten Mortalität einhergehen. Ziel dieses Beitrags war es daher, die Veränderungen der alkoholspezifischen Mortalität und der Krankenhauseinweisungen während der COVID-19-Pandemie in Deutschland mit Hilfe von diskontinuierlichen Zeitreihenanalysen zu quantifizieren.

In ihren Analysen unterscheiden die Forscher*innen zwischen akuten und chronischen alkoholbedingten Erkrankungen, da sie davon ausgehen, dass Krankenhausaufenthalte aufgrund chronischer alkoholbedingter Erkrankungen die Mortalität besser vorhersagen als Krankenhausaufenthalte aufgrund akuter alkoholbedingter Erkrankungen. Konkret stellten sie die Hypothese auf, dass der Anstieg der alkoholbedingten Mortalität im Jahr 2020 mit einem Rückgang der Inanspruchnahme spezialisierter Behandlungen für Krankheiten, die durch chronischen starken Alkoholkonsum verursacht werden, zusammenfallen würde.

Methodik

Die Forscher*innen erhielten monatliche Zählungen der Todesfälle und Krankenhausentlassungen zwischen Januar 2013 und Dezember 2020 (n = 96 Monate). Alkoholbedingte Todesfälle (ICD-10-Codes: F10.X; G31.2, G62.1, G72.1, I42.6, K29.2, K70.X, K85.2, K86.0, Q86.0, T51.X) wurden weiter unterteilt in Codes, die akute oder chronische Schäden durch Alkoholkonsum widerspiegeln. Um die Entwicklung der alkoholbedingten Todesfälle und Krankenhauseinweisungen zu quantifizieren, wurden geschlechtsstratifizierte diskontinuierliche Zeitreihenanalysen unter Verwendung generalisierter additiver gemischter Modelle für die Bevölkerung im Alter von 45 bis 74 Jahren durchgeführt. Dabei wurden sowohl sofortige (Schritt) als auch kumulative (Steigung) Veränderungen berücksichtigt.

Ergebnisse

Nach März 2020 beobachteten die Forscher*innen einen unmittelbaren Anstieg der alkoholbedingten Sterblichkeit bei Frauen, nicht jedoch bei Männern. Sie schätzen, dass die alkoholbedingte Sterblichkeit bei Frauen zwischen 2019 und 2020 um 10,8 % gestiegen ist. Die Krankenhausentlassungen wurden getrennt nach akuten und chronischen Erkrankungen analysiert. Die Gesamtzahl der Krankenhausentlassungen aufgrund akuter alkoholbedingter Erkrankungen ging bei Frauen um 21,4 % und bei Männern um 25,1 % zurück. Die Gesamtzahl der Krankenhausentlassungen aufgrund chronischer alkoholbedingter Störungen ging bei Frauen um 7,4 % und bei Männern um 8,1 % zurück.

Schlussfolgerungen

Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie ging in Deutschland mit einem Anstieg der alkoholbedingten Mortalität und einem Rückgang der alkoholbedingten Krankenhauseinweisungen einher. Ein erhöhter Alkoholkonsum bei Personen mit starkem Alkoholkonsum und eine geringere Inanspruchnahme des Gesundheitswesens während der Pandemie könnten die erhöhte Mortalität erklären. In Zeiten einer Krise im Bereich der öffentlichen Gesundheit muss der Zugang zu suchtspezifischen Angeboten sichergestellt und die Inanspruchnahme professioneller psychosozialer und medizinischer Unterstützung gefördert werden.

Quelle: Oxford Academic

Übersetzt mit www.DeepL.com