Alkohol ist in sozialen Medien – genau wie im sonstigen Alltagsleben – nahezu überall präsent. Es wäre auch verwunderlich, wenn der Alkohol als weitverbreitetes Konsum- und Kulturgut in sozialen Medien fehlen würde. Für die Alkoholprävention ist es daher wichtig zu wissen, wer in sozialen Medien welche Alkoholbotschaften verbreitet und von wem sie wie aufgenommen werden. Weiterhin ist es für die Alkoholprävention im Digitalzeitalter relevant, selbst in sozialen Medien sichtbar zu sein, also im Sinne aufsuchender beziehungsweise settingorientierter Gesundheitsförderung dort hinzugehen, wo viele Menschen ihre Freizeit verbringen, wo sie sich mit Alkohol befassen und wo sie – vor und hinter der Smartphone-Kamera oder Webcam – dann auch Alkohol konsumieren.
Autor*innen: Nicola Döring und Christoph Holz
Zitierung: Döring, N., Holz, C. Alkohol in sozialen Medien: Wo ist der Platz für Prävention?. Bundesgesundheitsbl 64, 697–706 (2021). https://doi.org/10.1007/s00103-021-03335-8
Quelle: Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz
Datum der Veröffentlichung: 19. Mai 2021
Zusammenfassung
Hintergrund
Digitale Medien – und insbesondere soziale Medien – haben in Deutschland einen festen Platz in den Lebenswelten der Bevölkerung eingenommen: Das gilt für Jugendliche und junge Erwachsene, die sich mit ihren Smartphones fast täglich in sozialen Medien bewegen; das gilt zunehmend aber auch für Erwachsene und sogar für Senior*innen. Menschen aller Altersgruppen nutzen – wenn auch in unterschiedlicher Form und Intensität – verschiedene Social-Media-Plattformen. Sie tun dies, um sich mit ihren Bekannten, Freund*innen und Verwandten zu vernetzen, um Organisationen und berühmten Persönlichkeiten zu folgen, diverse Informations- und Unterhaltungsangebote in Anspruch zu nehmen, ihre Reaktionen darauf mitzuteilen und zuweilen auch eigene Inhalte zu publizieren. Definierende Eigenschaften von sozialen Medien sind dementsprechend, dass sie internetbasiert sind, nutzergenerierten Inhalt (Content) verbreiten und Interaktionen zwischen Nutzenden fördern sowie Selbstdarstellung vor unterschiedlichen Publika erlauben. Unter Jugendlichen sind YouTube (im Besitz von Google LLC), Instagram (Facebook Inc.), Snapchat (Snap Inc.), TikTok (ByteDance) und Facebook (Facebook Inc.) aktuell bei den Social-Media-Plattformen mit öffentlichem Content die Spitzenreiter in Beliebtheit, Wichtigkeit und Nutzung. Sie sind abzugrenzen von einfachen Messengerdiensten, wie zum Beispiel WhatsApp, die vor allem der privaten Kommunikation dienen. Die Welt der sozialen Medien ist vielfältig und verändert sich sehr dynamisch.
Alkohol ist nicht nur offline, sondern inzwischen auch online fast allgegenwärtig.
Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, den Status quo der Alkoholprävention auf führenden Social-Media-Plattformen im deutschsprachigen Raum zu beschreiben.
Material und Methoden
Dazu wird zunächst der internationale Forschungsstand zur Alkoholkommunikation in sozialen Medien in einem narrativen Review zusammengefasst. Im Zuge einer Social-Media-Analyse wird dann untersucht, welche deutschsprachigen alkoholbezogenen Kanäle auf Plattformen wie Facebook und Instagram große Reichweiten haben. Anschließend werden mittels Inhaltsanalyse N = 470 Beiträge und N = 3015 Nutzerkommentare von dem reichweitenstärksten Social-Media-Kanal der Alkoholprävention untersucht. Schließlich wird durch eine Onlinebefragung von N = 1150 Jugendlichen (16 – 20 Jahre) deren alkoholbezogene Social-Media-Nutzung erkundet.
Ergebnisse
Laut Forschungsstand findet in sozialen Medien vor allem eine glorifizierende Kommunikation zu Alkohol statt. Auf führenden Social-Media-Plattformen sind die reichweitenstärksten deutschsprachigen alkoholbezogenen Kanäle dem Marketing und Humor gewidmet, Prävention ist deutlich weniger verbreitet. Der bislang reichweitenstärkste Kanal der Alkoholprävention ist die Facebook-Seite der Jugendkampagne »Alkohol? Kenn dein Limit.« der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die mit Videos und Umfragen die höchsten Interaktionsraten erzielt. Hier äußern sich junge Social-Media-Nutzer*innen alkoholkritisch (11 % der Kommentare), aber oft weiterhin alkoholbefürwortend (21 %). Rund die Hälfte der befragten Jugendlichen hat sich schon an alkoholbezogener Onlinekommunikation beteiligt.
Diskussion
Die hier vorgelegte Analyse deutschsprachiger alkoholbezogener Social-Media-Kanäle und ‑Inhalte hat gezeigt, dass Alkohol in sozialen Medien sehr präsent ist und überwiegend humorvoll und befürwortend dargestellt wird. Alkoholprävention ist dagegen vergleichsweise seltener vertreten und weniger reichweitenstark. Diese Befunde decken sich mit dem Forschungsstand, der im vorliegenden Beitrag im Rahmen einer narrativen Literaturübersicht dargestellt wurde. Gleichzeitig konnte gezeigt werden, dass im deutschsprachigen Raum mit der BZgA-Jugendkampagne »Alkohol? Kenn dein Limit.« digitale Kommunikationsräume geschaffen werden für einen alkoholkritischen Diskurs, etwa auf Facebook, Instagram und YouTube, der anderweitig in sozialen Medien weitgehend fehlt. Auch auf den Präventionskanälen wird Alkohol jedoch in nennenswertem Umfang humorvoll und verherrlichend kommentiert, was sich nur verhindern ließe, indem man die Räume schließt und die Kommunikation stark kontrolliert, was einer auf Selbstverantwortung zielenden Präventionsarbeit widersprechen würde. Insofern muss Präventionsarbeit in öffentlichen sozialen Medien damit umgehen, auch parodiert und kritisiert zu werden.
Die vorliegende Studie unterliegt einigen Limitationen. So liegt der Fokus auf der Sichtbarkeit und Reichweite von Präventionskommunikation in sozialen Medien. Inwiefern diese Präventionsbemühungen bei den Nutzer*innen alkoholkritische Einstellungen stabilisieren oder intensivieren und am Ende auch im Sinne eines gesundheitsbewussteren Alkoholgebrauchs verhaltenswirksam werden, liegt jenseits des Fokus der Studie. Ebenso leidet diese Studie – wie das gesamte Forschungsfeld – unter dem Defizit, dass keine Offline-Vergleichsdaten vorliegen: Wir wissen nicht, wie verbreitet es in der Offline-Kommunikation von Jugendlichen ist, sich positiv über Alkohol zu äußern oder Alkohol als Mittel der Selbstdarstellung zu nutzen. Insofern sind die Prävalenzen in sozialen Medien, die in der Fachliteratur tendenziell als bedenklich hoch eingeordnet werden, tatsächlich gar nicht klar interpretierbar. Möglich ist durchaus, dass Offline-Interaktionen unter Peers von noch häufigerer und/oder extremerer glorifizierender Alkoholkommunikation geprägt sind als die Social-Media-Interaktionen. Für die zukünftige Forschung zur Alkoholkommunikation und Präventionskommunikation ergibt sich die Aufgabe, Bezüge und Wechselwirkungen zwischen Offline- und Online-Interaktionen noch genauer zu untersuchen. Auch die Kommunikationsprozesse rund um alkoholbezogene Hashtags (zum Beispiel #saufen, #suff) erscheinen als fruchtbares Feld innerhalb der boomenden Hashtag-Forschung.
Für die zukünftige Praxis der Alkoholprävention in sozialen Medien lassen sich eine Reihe von Aufgaben ausmachen:
- Projekte der Alkoholprävention wie »Alkohol? Kenn dein Limit.« sollten auf den führenden Social-Media-Plattformen sichtbar sein und ihre Reichweiten ausbauen, um Kommunikationsräume für kritische Auseinandersetzungen mit Alkohol zu schaffen. Dabei sind auch Kooperationen mit solchen Social-Media-Influencer*innen und Online-Communitys sinnvoll, die eine alkoholkritische Haltung mitbringen (zum Beispiel aus dem Umfeld von Fitness, Nachhaltigkeit, Veganismus, Achtsamkeit).
- Neue Social-Media-Plattformen müssen genau beobachtet werden. Hier kann zunächst mit Anzeigen auf die Präsenzen von Präventionskanälen auf etablierten Social-Media-Plattformen verwiesen werden, bevor schließlich Präventionskanäle auf den neueren Plattformen (zum Beispiel Snapchat, TikTok, Telegram) eröffnet werden.
- Angesichts der wachsenden Popularität sozialer Medien auch bei älteren Nutzergruppen sind Präventionsmaßnahmen für diese Zielgruppen über Social-Media-Kanäle zu planen.
- Präventionsmaßnahmen in sozialen Medien müssen sich den dortigen Kommunikationserwartungen anpassen, also ihrerseits stark mit Hashtags, Humor, Bildern (zum Beispiel Memes), Videos und Mitmachaktionen arbeiten, um Aufmerksamkeit und Interaktion zu generieren. Auch müssen sie damit umgehen, ironisiert und parodiert zu werden.
Abschließend ist festzuhalten, dass positive Alkoholdarstellungen in sozialen Medien bereits einen festen Platz eingenommen haben, während die Alkoholprävention vor der Herausforderung steht, sich ihren Platz insbesondere auf den neuesten Social-Media-Plattformen erst zu erobern.
Quelle: Springer Link