Alkoholpolitik, besser noch Alkoholkontrollpolitik, ist seit jeher eine Aufgabe, der sich die Guttempler stellen, und der sich IOGT International als unser weltweiter Dachverband verpflichtet fühlt. Deshalb zu Beginn dieses Aufsatzes »Sechs Fakten über den Alkohol«, damit deutlich wird, worum es politisch in diesem Zusammenhang geht:

Sanaz Saleh-Ebrahimi gießt 130 Liter Alkohol in eine Badewanne, der jährliche persönliche Durchschnittsverbrauch in Deutschland

  1. Alkohol ist eine toxische Substanz, ein Zellgift;
  2. Alkohol bewirkt Abhängigkeit;
  3. Alkohol ist die dritthäufigste Ursache für Gesundheitsstörungen in Europa;
  4. Alkohol schädigt Menschen, die keinen Alkohol trinken;
  5. Alkohol ist eine Ursache für gesundheitliche Ungleichheit und
  6. die durch Alkohol verursachten Kosten sind höher als der ökonomische Nutzen.

Das sind mächtige Aussagen, und man fragt sich, warum nicht schon längst politische Konsequenzen gezogen worden sind. Zumal diese Erkenntnisse nicht neu sind.

Deshalb ein kurzer Rückblick. Die Guttempler waren immer wichtige Akteure im Rahmen der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren, heute »für Suchtfragen« (DHS). Seit ihren Gründungen war es beiden Organisationen ein wichtiges Anliegen, die Suchtprobleme zu reduzieren, indem auch auf das Angebot an Suchtmitteln fokussiert wird.

Wer Alkoholschäden verhindern will, muss den Konsum überall senken

1964 fand in Frankfurt der 27. Internationale Kongress »Alkohol und Alkoholismus« unter Federführung der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (DHS) statt. Vorsitzender der DHS war damals Prof. Dr. Theo Gläß, der Vorsitzende der Guttempler. Geschäftsführer der DHS war Arthur Uhlemann, auch ein Guttempler. Im Berichtsband des Kongresses gibt es auch einen Beitrag von Helmut Hartenfels über »Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Abstinenzverbände in der Hilfe für Alkoholkranke.« Helmut Hartenfels, nach dem eine Guttempler-Gemeinschaft in Gevelsberg benannt ist, war der Leiter der »Gefährdetenhilfe«, wie es damals hieß, der Guttempler.

Der wichtigste Beitrag in diesem Berichtsband stammt von Sully Ledermann, einem französischen Statistiker. Er hatte sich die Frage gestellt: »Kann man den Alkoholismus ohne gleichzeitige Änderung des Gesamtverbrauches einer Bevölkerung reduzieren?« Und seine Antwort, die bis heute Gültigkeit hat:

»Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Höhe des Konsums der Gesamtbevölkerung und den damit verbundenen Folgen, Schäden und Risiken.«

Damit wurde deutlich, dass es gilt, den Gesamtkonsum in einer Gesellschaft zu senken, die Verhältnisse zu verändern. Die Prävention, die beim einzelnen Menschen ansetzt, ist nicht falsch, aber lange nicht so wirksam. Und noch ein anderer Aspekt ist wichtig. Je höher der Pro-Kopf-Konsum einer Bevölkerung ist, desto mehr Menschen mit einer Disposition zur Abhängigkeit werden abhängig. Dann werden auch Menschen, die in Kulturen mit wenig Alkoholkonsum nicht abhängig geworden wären, abhängig.

Leeres umgestürztes Bierglas auf Tisch in Bierzelt, Szene aus NDR-Beitrag "Die Deutschen und der Alkohol"

Zusammengefasst bedeutet dies, dass wir auch nach mehr als 50 Jahren immer noch feststellen müssen, dass

  • Alkohol ein gefährliches Gut ist;
  • der Alkoholkonsum in Deutschland reduziert werden muss, um die damit verbundenen Probleme zu reduzieren und
  • politisch kein Wille zur Veränderung besteht.

Drogenbeauftragte an kurzer Leine der Alkohollobby

Wir haben uns gefreut, dass es seit Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts eine oder einen Drogenbeauftragten der Bundesregierung gibt. Diese aus dem Kreis der Bundestagsabgeordneten benannte Person soll alle Aspekte der Sucht, der Drogen und der Abhängigkeit bündeln und politische Initiativen zur Reduzierung der individuellen und gesellschaftlichen Probleme ergreifen.

So wurde unter der damaligen Drogenbeauftragten Sabine Bätzing, heute Ministerin in Rheinland-Pfalz, ein Aktionsplan Alkohol erarbeitet. Der beste Plan – aus unserer Sicht -, den es bisher gab. Sowohl die DHS als auch die Guttempler arbeiteten nicht weiter an eigenen Plänen, da ihre wichtigsten Forderungen über den »Drogen- und Suchtrat«, der die Drogenbeauftragte beraten sollte, eingebracht werden konnten. Eine letzte Anhörung 2008, und es könnte weitergehen. Doch der konzentrierte Widerstand von Brennern, Brauern und Winzern sowie der mit ihnen verbundenen Industrie- und Wirtschaftszweige, sorgte dafür, dass dieser Plan (immer noch einzusehen unter alkoholpolitik.de) das Kabinett zur Beschlussfassung nicht erreichte.

Für die Nachfolgerinnen der damaligen Drogenbeauftragten sicherlich ein wichtiges Zeichen, sich hier nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Dazu kam, dass es nicht der Politik der sie entsendenden Fraktionen entsprach, alkoholpolitisch tätig zu werden.

Werbebranche in Alarmstimmung

Noch einmal zurück in das Jahr 2008. Auch der Zentralverband der Werbewirtschaft meldete sich zu Wort und versuchte es subtil. Zunächst erklärte er, dass nach den Restriktionen im Tabakbereich nun der Alkohol »an der Reihe« sei. Und dann wurde es in der Pressemitteilung persönlich: »Vergleicht man die Inhalte des Strategiepapiers des Drogen- und Suchtrates mit den Ausführungen über Alkoholkonsum und Werbung im Jahrbuch 2008 der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) wird rasch deutlich, wer die Denkvorgaben leistet: die DHS …. Geführt wird die DHS von Geschäftsführer Rolf Hüllinghorst, Mitglied der Abstinenzorganisation Guttempler. Er ist ebenso Mitglied des Drogen- und Suchtrates von Sabine Bätzing wie Wiebke Schneider, gleichfalls Mitglied … der Guttempler« und

Es gehört zur Desinformation, wenn Frau Bätzing und die DHS diese Leistungen (der Industrie) folgendermaßen verleumden …«

Das war ja fast so etwas wie ein Ritterschlag, den die alkoholpolitischen Bemühungen der Guttempler erhielten.

Nachdem es immer schwerer wurde, das Thema »Alkohol« in den nationalen Parlamenten auf die Tagesordnung zu bekommen, griffen sowohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als auch die Europäische Gemeinschaft, und neuerdings auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), das Thema auf.

Alkoholpolitik international

Keine dieser Institutionen hat pauschal etwas gegen Alkohol, aber sie haben erkannt, dass übermäßiger Alkoholkonsum die wirtschaftliche Entwicklung einer Gesellschaft hemmt beziehungsweise die persönliche und gesundheitliche Entwicklung stört. Daher sehen sie es als ihre Aufgabe an, hier tätig zu werden. Auch auf dieser Ebene mischen die Guttempler mit. Im Rahmen der Zusammenarbeit innerhalb von IOGT wurde Eurocare gegründet, eine Organisation, die sich auf europäischer Ebene um Alkoholpolitik bemüht. Auf der Weltebene, vor allen Dingen als Gegenüber der WHO, wurde die »Global Alcohol Policy Alliance« GAPA gegründet. Beide Organisationen sind bevorzugte Ansprechpartner auf unserem Aufgabenfeld in Europa beziehungsweise bei der WHO und sorgen immer wieder dafür, dass internationale Beschlüsse auf die nationale Agenda gesetzt werden.

In vielen Ländern in Europa, Asien, Afrika und Amerika, wird der Umgang mit Alkohol restriktiver. Es gibt Einschränkungen in der Werbung, es gibt Begrenzungen in der Verfügbarkeit, und auch die Preisgestaltung wird aktiv genutzt. Nur nicht in Deutschland. Obwohl der Pro-Kopf-Konsum seit 1980 kontinuierlich sinkt (von 1980 mit knapp 13 Litern pro Kopf der Bevölkerung (und da sind alle mitgerechnet) auf 9,8 Liter in 2009 und 9,6 Liter in 2015. Aber das ist immer noch zu hoch, die Schäden sind immer noch immens und die individuellen Einschränkungen durch Abhängigkeit können die Guttempler jeden Tag in ihren Selbsthilfegruppen erleben.

Sully Ledermann sagte auch: »Man kann den ›unvernünftigen‹ Konsum nicht beeinflussen, sondern nur den Gesamtkonsum, um die Schäden – auch die persönlichen – zu reduzieren.

Das geht nicht ohne Einbußen der Alkoholindustrie.«

Darauf baute auch der ehemalige Vorsitzende der Guttempler in Deutschland, Dr. Martin Klewitz, auf, wenn er äußerte, dass »die Hilfe für Betroffene allein eine Unterstützungsleistung für die Industrie ist.«

Mann mit Eimer in Ausnüchterungszelle, Szene aus SWR-Beitrag

Glauben heißt nicht wissen

Hartnäckig hält sich die Meinung, Alkohol sei gesund, er wird sogar zum Kulturgut verklärt. Ein Factsheet der DHS greift Mythen und Meinungen zum Thema Alkohol auf und zeigt, dass viele der verbreiteten Annahmen einer Überprüfung nicht standhalten. Es geht der Alkoholindustrie darum, dass keine Fakten über die Gefährlichkeit und die Folgen publiziert werden, sondern Mythen bestärkt werden. (Rotwein ist gesund, alkoholisiert bin ich glücklicher und kontaktfreudiger …) Die Menschen sollen glauben und nicht wissen.
»Ich glaube das nicht« sagt auch die derzeitige Drogenbeauftragte, wenn die Forderungen zu konkret werden.

Alkoholpolitik wird jetzt seit mehr als 100 Jahren betrieben. Es begann mit dem Glauben daran, dass Leiden beeinflussbar sein müsse. Es ging weiter mit wissenschaftlichen Untersuchungen, die inzwischen ein so hohes Niveau erreicht haben, dass sie nicht zu widerlegen sind.

Sind Schutz- und Freiheitsbedürfnisse Gegensätze?

Der wissenschaftlich begründete politische Streit bewegt sich in fast allen Politikfeldern, ganz besonders aber bei der Verfügbarkeit von Alkohol, zwischen den »Schutzbedürfnissen einzelner« und der »Freiheit des einzelnen«. In der Alkoholpolitik geht es schon lange nicht mehr um »einzelne«, sondern um große Bevölkerungsgruppen, die einen Anspruch auf Schutz haben. Das wird nicht zuletzt durch Ergebnisse von Bevölkerungsumfragen dokumentiert, in denen sich immer zwischen 60 bis 80 % der Bevölkerung für die Einschränkung von Werbung aussprechen; für eine Preiserhöhung, für das Verbot des Verkaufs von Alkohol an Tankstellen und Autobahnen und Vieles mehr. Immer wieder werden diese Forderungen von marktliberalen Gesichtspunkten konterkariert. Jeder Mensch müsse für sich selbst entscheiden. Doch uns geht es um die Schutzbedürfnisse der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen; alkoholfreie Lebensweise von schwangeren und stillenden Müttern; das Überleben ehemals alkoholkranker Menschen in einer alkoholisierten Gesellschaft und das Überleben nicht-alkoholisierter Verkehrsteilnehmer, um nur einige Beispiele zu nennen.

Alkoholpolitik ist in Deutschland nach wie vor kein Thema. Die Parteien und Fraktionen packen das Thema nicht an, weil sie vor zwei Dingen Angst haben: Auf der einen Seite vor der Bevölkerung, die zu einem überwiegenden Teil Alkohol konsumiert und auf der anderen Seite vor den lokalen Brauern, Brennern und Winzern.

Aber vielleicht geht es doch etwas voran. In diesem Jahr hatten wir drei längere Fernsehbeiträge sowie eine Satire, die sich mit dem Thema Alkohol befassten:

In allen Beiträgen waren es die Guttempler, die genannt und auf deren Expertise sich bezogen wurde. Gedreht wurde in den Guttemplerhäusern Berlin, Bielefeld und Hamburg-Eppendorf. Es wurde zwingend nachgewiesen, dass Handlungsbedarf besteht. In allen Beiträgen ging es auch um die Fahruntüchtigkeit mit 0,5 Promille, die wesentlich zu hoch angesetzt ist.

Engagierte Journalisten entlarven Alkoholindustrie

Correctiv, die Journalistengemeinschaft, die hinter dem ZDF-Beitrag stand, schaffte es, Artikel in der ZEIT und der WELT zu platzieren. Correctiv deckte den massiven Einfluss der Industrie auf. Aufgrund dieser Interventionen musste die Bundesregierung ihre Kontakte mit der Alkoholindustrie offen legen, und es liest sich ernüchternd, welche enge Verbindung es vor allen Dingen in das Wirtschaftsministerium hinein gibt.

Screenshot der Correctiv-Website mit Beitrag zur Alkoholindustrie

Zum Schluss der Legislaturperiode des Bundestages gab es noch ein Fachgespräch in einer der großen Bundestagsfraktionen. Dafür wurden noch einmal die nachstehenden Forderungen zusammengestellt, und es bleibt zu hoffen, dass einige dieser Forderungen politisch weiter verfolgt werden. Wir werden es anmahnen.

Politische Handlungsmöglichkeiten, um den Alkoholkonsum in Deutschland zu reduzieren

  1. Einflussnahme über den Preis
    1. Alkoholische Getränke nach der Inhaltsmenge an Alkohol besteuern
    2. Steuern auf Wein erheben
    3. Mindestpreise für alkoholische Getränke (zum Beispiel durch Steuerbanderolen wie beim Tabak)
  2. Einschränkung der Verfügbarkeit
    1. Monopol für alkoholische Getränke
    2. Verkauf von alkoholischen Getränken in getrennten Ladenteilen
    3. Verkauf von Alkohol in Ladengeschäften nur zwischen 10 und 22 Uhr
    4. Kein Verkauf von Alkohol an Autobahnen und in Tankstellen
    5. Beschränkung der Verkaufsdichte von Läden und Gaststätten
  3. Kinder- und Jugendschutz
    1. Keine alkoholischen Getränke unter 18 Jahren
    2. Keine an Jugendluche gerichtete Werbung
    3. Werbung nur zu Zeiten, in denen Kinder und Jugendliche keine Medien nutzen
    4. Verdeckte Einkäufe, um den Jugendschutz zu kontrollieren
  4. Alkohol im Straßenverkehr
    1. Reduzierung der zulässigen Blutalkoholkonzentration im Straßenverkehr
    2. verdachtsfreie Atemalkoholkontrollen
    3. Beschränkung des Angebotes von Lokalen und Gaststätten mit Alkoholausschank an Bundesautobahnen und Fernstraßen
  5. Werbung für alkoholische Getränke
    1. ein Werbeverbot für Alkohol, für ein gefährliches Produkt, ist konsequent
    2. keine Werbung, die sich an Kinder und Jugendliche richtet
    3. keine Werbung in der Nähe von Schulen und Jugendeinrichtungen
    4. keine Werbung für alkoholische Getränke im Sport und in Stadien
    5. reine Produktwerbung ohne emotionale Ansprachen
    6. Selbstverpflichtung der Industrie durch gesetzliche Vorgaben ersetzen
  6. Generelle Alkoholverbote
    1. im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV)
    2. im Fernverkehr
    3. im Flugverkehr
  7. Befristete Alkoholverbote
    1. bei Großveranstaltungen (zum Beispiel Bundesliga, Pop-Konzerte)
    2. auf öffentlichen Plätzen
  8. Aufgaben der Industrie
    1. Warnhinweise auf allen Flaschen, Dosen und Verpackungen
    2. Deklaration aller Inhaltsstoffe
  9. Punktnüchternheit: Kein Alkohol
    1. für Menschen, die abhängig sind
    2. für Frauen in Schwangerschaft und Stillzeit
    3. für Kinder und Jugendliche
    4. zusammen mit Medikamenten
    5. im Berufsleben
    6. im Straßenverkehr
    7. vormittags
    8. bei Festen, an denen hauptsächlich Kinder und Jugendliche teilnehmen