Als die damalige Drogenbeauftragte und jetzige Ministerpräsidentin Sabine Bätzing die Restaurants und Kneipen vom Zigarettenqualm befreite, wurde schon der Zusammenbruch der abendländischen Gastronomie befürchtet. Es kam zu unser aller Vorteil bekanntlich anders und ich kenne bis dato niemanden, der sich nach stinkender Abendgarderobe zurücksehnt.
Die krebserregende Wirkung von Tabak ist bekannt. Dass Alkohol ebenfalls ein hohes cancerogenes Potential besitzt, bei regelmäßigem Konsum die Wahrscheinlichkeit der Entstehung einer Tumorerkrankung gar um ein Vielfaches erhöht, wird nicht so gerne wahrgenommen, am liebsten verdrängt. Schließlich suggeriert uns die Werbung mit der unbändigen Kraft von 600 Mio €/Jahr lautstark eine völlig andere Realität.
Dabei werden die Fakten, die die medizinische Forschung uns seit vielen Jahren von der Gefahr übermittelt, übertönt. So sprechen das anerkannte kanadische WHO-Center of Addiction and Mental Health und die International Agency for Research on Cancer im Zusammenhang mit Alkohol in ihrer jüngsten Publikation vom »Leading risk factor for cancer«.
Das Thema Mundkrebs begleitet mich persönlich mittlerweile schon über 35 Jahre. Angefangen in den Uni-Vorlesungen im Fach Pathologie beschäftigte ich mich im Rahmen meiner Doktorarbeit intensiv mit dem Thema. Als Assistent in der Kiefer- und Gesichtschirurgie der Aachener UniKlinik war ich tagtäglich mit dem Leid, welches Tumoren im Mund- und Hals-Bereich auslösen, konfrontiert. Mit der Verzweiflung der Patient:nnnen, mit der Ohnmacht der behandelnden Ärzt:innen.
Heute sehe ich im Rahmen meiner konsiliarischen Untersuchungen für die HNO-Abteilung einer Bremer Klinik nahezu täglich Patient:innen mit Tumorerkrankungen im Mund- und Hals-Bereich. Die Alkohol-Anamnese fällt bei den bedauernswerten Patient:innnen fast immer positiv aus und deckt sich mit den Ergebnissen der Forschung in diesem Bereich.
Obwohl Jutta Rippegather schon 2020 in der Frankfurter Rundschau von den Verklebungen der Politik mit der Alkoholindustrie berichtete, entsetzt mich der aktuelle Versuch zahlreicher Lobbyist:innen auf der politischen Bühne des EU-Parlaments. Sie wollen mit ihren jüngsten Aktivitäten einer Verharmlosung das Wort reden und bedienen sich hierzu einer perfiden Wortakrobatik, um den Absatz nicht zu gefährden und gleichzeitig auf gewissenlose Weise wirksame Präventionsmaßnahmen zu boykottieren.
Angesichts der exorbitanten Kosten, die Alkohol der Allgemeinheit aufbürdet (D 2020: 57,04 Mrd €, Effertz, DHS), muss man hier von einer gewissenlosen Dreistigkeit sprechen. Dennoch bin ich optimistisch, haben wir doch mit Burkhard Blienert einen neuen Drogenbeauftragten, der es sich zum Ziel gesetzt hat, in der künftigen Drogenpolitik die Gesundheit zu priorisieren. Das bedeutet, die für die Wahrscheinlichkeit einer Suchtentwicklung determinierende Hirnreifung zu berücksichtigen und das Einstiegsalter für Alkohol endlich zu erhöhen. Um auch das für eine Senkung der alkoholinduzierten Krebshäufigkeit notwendige Umdenken zu erreichen, brauchen wir mehr: einen Blumenstrauß an Maßnahmen.
Wir müssen die vielen positiven Aspekte erwähnen, die mit einem alkoholfreien Lebensstil verbunden sind. #dryjanuary ist eine Möglichkeit, die hier eine hohe Resonanz erzielt hat. Laut Zeit-online gab es auf Instagram bereits über 418000 Beiträge mit diesem Hashtag. Tumorfreiheit, weniger Rohheitsdelikte und Unfälle sind neben einem klaren Kopf wertvolle Aspekte, die wir hervorheben müssen anstatt über Restriktionen zu jammern. Wenn hierzu auch nur die Hälfte des Werbeetats zu Verfügung stünde, wäre die Belohnung für uns alle unermesslich groß. Der Blumenstrauß muss noch bunter werden. Ein Alkohol-Werbeverbot im Sport gehört für mich und meine Kollegen von bcgh.de unverhandelbar dazu.
Quellen:
Über den Autor
bcgh ist die Bremer Initiative für ein Alkohol-Werbeverbot im sportlichen Umfeld. Gegründet wurde bcgh von den vier Initiatoren Dr. Hans-Werner Bertelsen, Dr. Martin Claßen, Prof. Dr. Gerd Glaeske und Prof. Dr. Hans Iko Huppertz.