Porträt von Prof. Dr. Jürgen Rehm, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg. Daneben sein Zitat vom 21.08.2024 in Zeit Online: Alkohol ist vor allem ein Problem der Erwachsenen zwischen 40 und 60 Jahren – die Altersgruppe, zu der die meisten Politiker*innen selbst zählen.

In einem Interview mit ZEIT Online kritisiert der Gesundheitswissenschaftler Jürgen Rehm die deutsche Alkoholpolitik. Er weist darauf hin, dass Deutschland mit mehr als zwölf Litern reinen Alkohols pro Kopf und Jahr zu den Ländern mit dem höchsten Alkoholkonsum in Europa gehört.

Rehm macht deutlich, dass der schädliche Einfluss von Alkohol unterschätzt wird. Er vergleicht den Alkoholkonsum mit dem Rauchen und betont, dass Alkohol in Deutschland nach dem Rauchen die zweithäufigste Krebsursache ist. Die meisten Menschen wüssten aber nicht, welche Krebsarten durch Alkohol beeinflusst werden. Rehm warnt vor den gesundheitlichen Folgen des Alkoholkonsums und erklärt, dass diese nicht nur die Konsument*innen selbst, sondern auch die Gesellschaft betreffen.

Das Einzige, was die Menschen überschätzen, ist der gute Effekt des Alkohols auf den Herz-Kreislauf.«

Wie viel wissen die Europäer*innen über den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Krebs?

Frau mit roten Haaren und rot-weiß gestreiftem Shirt zuckt ratlos mit den Schultern.

Dieser Kurzbericht fasst die Originaldaten einer groß angelegten europäischen Studie zum Wissen über den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und verschiedenen Gesundheitsschäden, einschließlich Krebs, zusammen. Die Daten wurden im Rahmen einer Basisevaluierung eines größeren Online-Experiments erhoben, bei dem die Wirkung verschiedener Gesundheitsbotschaften auf den Etiketten alkoholischer Getränke in 14 europäischen Ländern untersucht wurde.

Rehm argumentiert, dass der Staat eine Fürsorgepflicht hat, den Alkoholkonsum zu reduzieren, da die Folgen des Alkoholkonsums auch Dritte betreffen, wie zum Beispiel Kinder, die durch den Alkoholkonsum ihrer Mütter geschädigt zur Welt kommen, oder Menschen, die durch betrunkene Verkehrsteilnehmer*innen verletzt werden. Rehm verweist auf Studien, die zeigen, dass die finanziellen Kosten des Alkoholkonsums zu einem großen Teil durch Schäden für die Gesellschaft verursacht werden.

Beim Alkohol lässt sich die politische Verantwortung nicht abschütteln.«

Der Experte beleuchtet auch den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Gewalt. Er verweist auf Statistiken, die zeigen, dass Gewaltdelikte, beispielsweise beim Oktoberfest in München, mit Alkoholisierung zusammenhängen. Als Beispiel nennt er Litauen, wo die Einschränkung des Alkoholverkaufs an Sonntagen zu einem Rückgang der Gewalttaten geführt habe.

Rehm plädiert für wirksame politische Maßnahmen zur Reduzierung des Alkoholkonsums, wie zum Beispiel Steuererhöhungen, die Einschränkung von Happy Hours und die Festlegung eines Mindestpreises für Alkohol. Er betont, dass der Alkoholkonsum pro Kopf ein wichtiger Indikator für alkoholbedingte Probleme ist und dass es notwendig ist, bestimmte Konsummuster zu ändern.

Alle Menschen reagieren auf den Preis. Wenn irgendwas teurer wird, wird es weniger gekauft.«

Er kritisiert die erschwinglichen Preise für Alkohol in Deutschland, insbesondere für Bier, und vergleicht sie mit anderen Ländern. Er stellt fest, dass Deutschland das Land mit den niedrigsten Alkoholpreisen in Europa ist, was zu einem hohen Alkoholkonsum beiträgt. Rehm kritisiert, dass die Politik bisher keine wirksamen Maßnahmen ergriffen hat, um den Alkoholkonsum zu senken, obwohl die Weltgesundheitsorganisation Handlungsbedarf sieht. Er bemängelt, dass sich die Politik nicht für die Gesundheit der Bevölkerung einsetzt und als einzige Maßnahme ein Alkoholverbot für 14-Jährige ins Auge gefasst wird.

Bier kostet im Durchschnitt nur die Hälfte von dem, was man im Rest der EU bezahlen muss.«

Insgesamt zeigt das Interview, dass sich Jürgen Rehm klar für eine wirksamere Alkoholprävention in Deutschland positioniert. Er weist auf die gesundheitlichen und sozialen Folgen des Alkoholkonsums hin und fordert von der Politik wirksame Maßnahmen, um den Konsum zu reduzieren.

In den vergangenen zehn Jahren haben mehr als zehn Länder das Mindestalter für Alkohol hochgesetzt. Aber man stelle sich vor, man würde das in Deutschland tun, von 16 auf 18 für Bier und Wein – das wäre schon kurz vor der Revolution.«

Prof. Dr. Jürgen Rehm arbeitet am Centre for Addiction and Mental Health (CAMH) und lehrt als Professor für Public Health an der University of Toronto in Kanada. Darüber hinaus ist er als Wissenschaftler für verschiedene Institutionen tätig, darunter die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS).

Er ist führend in der Generierung und Analyse wissenschaftlicher Daten, die benötigt werden, um Ärzt*innen und politische Entscheidungsträger*innen über Strategien zur Verringerung alkohol-, tabak- und drogenbedingter Schäden zu informieren. Seine jüngsten Forschungsarbeiten befassen sich zunehmend mit den Wechselwirkungen zwischen sozioökonomischem Status, Armut und Substanzkonsum, einschließlich der Analyse von Strategien und Interventionen zur Verringerung oder Verstärkung von Ungleichheiten. Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Jellinek Memorial Award (2003) und den European Addiction Research Award (2017).

Quelle: Zeit Online