Buchtitel "No place for cheap alcohol" vor Getränkekisten

Die Europäische Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehört zu den Regionen mit dem höchsten Alkoholkonsum und den entsprechenden alkoholbedingten Schäden in der Welt. Preispolitik und Besteuerung gehören zu den wirksamsten Maßnahmen, die politische Entscheidungsträger:innen zur Bekämpfung dieser Schäden einsetzen können, doch werden sie in der gesamten Region nach wie vor zu wenig genutzt. In den letzten Jahren ist das Interesse an einer relativ neuen Form der Preispolitik zur Verringerung der Erschwinglichkeit von Alkohol und damit auch des Konsums gewachsen – der Mindestpreisgestaltung.

In diesem Bericht werden diese (noch) nicht weit verbreitete Politik und ihr Potenzial zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit erörtert und untersucht, wie Mindestpreise neben Maßnahmen zur Alkoholbesteuerung eingesetzt werden sollten. Er gibt einen Überblick über den Stand der weltweiten Umsetzung von Mindestpreisen, die neuesten Erkenntnisse zu dieser Politik, ihre wichtigsten Stärken und Grenzen sowie praktische Überlegungen für die Länder.

Dieser Bericht bietet erstmals eine Übersicht und eine globale Kartierung der Mindestpreispolitik für Alkohol sowie eine Zusammenfassung der neuesten Erkenntnisse über deren Auswirkungen. Er erörtert die Mindestpreisgestaltung und eine spezielle Form – die Mindestpreisgestaltung je Maßeinheit (MUP) – im Zusammenhang mit anderen preispolitischen Maßnahmen und vor allem mit der Alkoholbesteuerung. Der Bericht geht auch auf die gängigen Argumente gegen Mindestpreise ein und liefert Gegenargumente, die sich auf die verfügbaren Beweise stützen. Er erörtert verschiedene rechtliche Fragen im Zusammenhang mit Mindestpreisen, einschließlich der Auswirkungen auf bestehende rechtliche Verträge und Zusammenschlüsse in der Europäischen Region der WHO, wie die Europäische Union (EU) und die Eurasische Wirtschaftsunion. Schließlich gibt der Bericht einen Überblick über verschiedene Mindestpreismodelle und ihre möglichen Auswirkungen in Kombination mit steuerlichen Maßnahmen auf den Alkoholmarkt und damit auf die Verbraucher:innen und enthält Überlegungen zur Umsetzung, Durchsetzung, Überwachung, Bewertung und Überarbeitung von Mindestpreisen.

Der Bericht macht auch deutlich, dass eines der Haupthindernisse für die Umsetzung einiger der wirkungsvollsten und kosteneffizientesten alkoholpolitischen Maßnahmen, insbesondere der Preispolitik, der erhebliche und anhaltende Widerstand von Teilen der Alkoholindustrie ist. Aus diesem Grund hat sich meine Regierung verpflichtet, bei der Entwicklung von Gesundheitspolitiken, bei Kampagnen zur Vermittlung von Gesundheitsinformationen oder bei der schulischen und außerschulischen Aufklärung nicht mit der Alkoholindustrie zusammenzuarbeiten.
Nicola Sturgeon, Premierministerin von Schottland

Zentrale Botschaften

  • Alkoholpreispolitik und Alkoholbesteuerung gehören zu den wirksamsten und kosteneffizientesten Maßnahmen zur Verringerung des Alkoholkonsums und der schädlichen Wirkungen, werden aber auch am wenigsten genutzt.
  • Die Besteuerung von Alkohol ist die am weitesten verbreitete Preispolitik, und alle WHO-Mitgliedstaaten in Europa haben irgendeine Form von Alkoholsteuer eingeführt, doch werden diese Steuern oft in einer Weise angewandt, die der öffentlichen Gesundheit kaum zuträglich sein dürfte.
  • Es gibt verschiedene Quellen für die Auswirkungen von Mindestpreisen, darunter systematische Übersichten, Modellstudien und Evaluierungen von Szenarien für die praktische Umsetzung. Diese belegen einen Rückgang des Alkoholkonsums und der Schäden nach der Einführung von Mindestpreisen.
  • Ein Mindestpreis für ein alkoholisches Getränk legt ein festes Preisniveau fest, unter dem eine bestimmte Menge eines Fertigerzeugnisses nicht verkauft werden kann, während der MUP spezifischer ist und ein Niveau festlegt, unter dem eine bestimmte Alkoholmenge (wie ein Standardgetränk) nicht verkauft werden kann. Da der MUP an den Alkoholgehalt des Getränks gekoppelt ist, wird er für stärkere Getränke immer höher sein als für Getränke mit niedrigem Alkoholgehalt, was für Verbraucher:innen und Hersteller:innen einen Anreiz darstellt, Produkte mit geringerem Alkoholgehalt zu bevorzugen. In diesem Bericht wird der Begriff Mindestpreise als Oberbegriff für beide Maßnahmen verwendet.
  • Alkoholschäden treten vor allem bei stärkeren Konsument:innen auf, insbesondere bei solchen aus unteren sozioökonomischen Gruppen. Eine Mindestpreispolitik kann diese Zielgruppe wirksam ansprechen und folglich gesundheitliche Ungleichheiten verringern.
  • Weltweit gibt es derzeit nur in 14 Ländern eine Mindestpreispolitik, davon 11 in der Europäischen Region der WHO (im Vereinigten Königreich nur in Schottland und Wales). Die Länder mit Mindestpreisen außerhalb der Region sind Australien und Kanada. In 10 der 13 kanadischen Provinzen gibt es Mindestpreise, aber nur in einem der acht australischen Territorien.
  • In der Europäischen Region der WHO gibt es in 11 Ländern (im Vereinigten Königreich nur in Schottland und Wales) irgendeine Form von Mindestpreispolitik für alkoholische Getränke (meist für Wodka und andere Spirituosen), und nur vier Länder haben einen MUP für alle alkoholischen Getränke (Armenien, Irland, Ukraine, Schottland und Wales), wobei in der Ukraine der MUP nur für Spirituosen gilt.
  • Im Jahr 2020 lagen die Mindestpreise für einen Liter Bier in den Ländern mit dieser Gesetzgebung zwischen zwei internationalen Dollar (Int$) und 5 Int$, während die Mindestpreise für Wein zwischen 5 Int$ und 12,5 Int$ pro Liter und für Wodka zwischen 12,5 Int$ und 40 Int$ pro Liter lagen.
  • Derzeit haben alle fünf Mitgliedstaaten der Eurasischen Wirtschaftsunion (Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und die Russische Föderation) eine Mindestpreispolitik für bestimmte alkoholische Getränke. Der Vertrag über die Eurasische Wirtschaftsunion erlaubt es den Mitgliedstaaten ausdrücklich, ihre eigenen Mindestpreise für Spirituosen und Rohethanol festzulegen.
  • Derzeit sind Irland und die Slowakei die einzigen EU-Länder mit einer Mindestpreispolitik für Alkohol. Im Einklang mit dem EU-Recht stellt jede von einem EU-Mitgliedstaat erlassene Mindestpreisregelung eine technische Vorschrift dar, und der Gesetzesentwurf muss der Europäischen Kommission unter Angabe spezifischer Begründungen notifiziert werden. Die betreffende Gesetzgebung muss ein legitimes Ziel im Bereich der öffentlichen Gesundheit verfolgen, damit sie nicht mit der Begründung abgelehnt wird, dass sie den freien Warenverkehr innerhalb der EU behindern könnte.
  • Die Fallstudie des Vereinigten Königreichs (Schottland) (das Vereinigte Königreich war früher ein EU-Mitgliedstaat) zeigt die Vereinbarkeit von MUP mit dem EU-Recht, wobei der Gerichtshof des Europäischen Parlaments feststellte, dass MUP wahrscheinlich zu einer Verringerung des starken Alkoholkonsums und der damit verbundenen Schäden führt.
  • Die gängigen Einwände gegen Mindestpreise ähneln denen, die in Bezug auf die Besteuerung vorgebracht werden, aber diese Einwände werden im Allgemeinen nicht durch Tatsachen belegt.
  • Eine Erhöhung der Alkoholsteuer dürfte zu einer unmittelbaren und direkten Erhöhung der Staatseinnahmen führen. Mindestpreise dürften die Einnahmen von Alkoholhersteller:innen und ‑einzelhändler:innen erhöhen und, in geringerem Maße, die Steuereinnahmen des Staates verringern. Diese Einbußen dürften jedoch durch andere wirtschaftliche Vorteile, wie geringere Gesundheitskosten und eine höhere wirtschaftliche Produktivität, ausgeglichen werden. Um die langfristigen Folgen von Mindestpreisen zu verstehen, sind weitere Erkenntnisse und Bewertungsstudien erforderlich.
  • Mindestpreise können in Kombination mit anderen ergänzenden Maßnahmen, einschließlich der Besteuerung, eingesetzt werden, um Schäden zu verringern und die Steuereinnahmen des Staates zu erhöhen. Mindestpreise sollten daher als Ergänzung zur Besteuerung betrachtet werden, nicht als Alternative. Mindestpreise können zwar zu einem Anstieg des nicht erfassten Alkoholkonsums führen, doch kann dies durch gezielte Maßnahmen verhindert werden.