Warum jetzt auch Alkoholwerbung verschwinden sollte – Seite 1

Nur noch wenige Schritte fehlen, bis die Bundesregierung die Werbeverbote für Zigaretten, Dampfer und viele weitere Tabakprodukte ausweitet. Die Koalitionsparteien CDU und SPD haben sich auf einen Gesetzentwurf für ein strengeres Verbot von Plakatwerbung und Werbespots im Kino geeinigt, nachdem die Union diesen Schritt jahrelang verweigert hatte. An diesem Donnerstag berät der Bundestag abschließend über den Entwurf. Anschließend muss ihm noch der Bundesrat zustimmen.

Damit könnte Deutschland einer vollständigen Umsetzung der beinahe in Vergessenheit geratenen WHO-Tabakrahmenkonvention von 2003 näher kommen. Das Übereinkommen der Weltgesundheitsorganisation hatte Deutschland schon damals unterschrieben und sich unter anderem dazu verpflichtet, Werbung für Zigaretten und andere Tabakprodukte vollständig zu verbieten. Aber obwohl die Gesetze in Deutschland seither verschärft wurden, ist vieles noch erlaubt.

Auch der aktuelle Gesetzentwurf ist kein komplettes Werbeverbot und greift erneut erst langsam: Zwar würde er in seiner jetzigen Form Werbung etwa im öffentlichen Raum an Haltestellen oder Litfaßsäulen verbieten (ab 2022). Für Tabakerhitzer soll das aber erst 2023 gelten, für E-Zigaretten noch ein Jahr später. Lediglich ab 1. Januar 2021 soll Kinowerbung fürs Rauchen entfallen, aber nur wenn der Film für unter 18-Jährige freigegeben ist. Im Fachhandel darf zudem weiterhin plakatiert werden und auch das mittlerweile sehr lukrative Sponsoring von Konzerten, Festivals, Kulturveranstaltungen oder auch Organisationen und politischen Parteien soll weiterhin unter Auflagen erlaubt bleiben. Seit Jahren geben Tabakkonzerne ohnehin schon mehr für Promotion und Sponsorship aus als für Plakatwerbung – 2017 waren es insgesamt rund 150 Millionen Euro (Drogen- und Suchtbericht 2019).

Nach Schätzungen der WHO sterben weltweit jedes Jahr rund acht Millionen Menschen an den Folgen von Tabakkonsum. Etwa 1,2 Millionen davon erkranken allein durch Passivrauchen, das, genau wie das aktive Rauchen, Herzerkrankungen, Krebs und andere Krankheiten fördern kann. In Deutschland gibt es jedes Jahr mehr als 100.000 Todesfälle durch Rauchen. 

Dagegen gilt das Dampfen von E-Zigaretten als weniger gesundheitsschädlich, auch wenn bisher nur sehr wenig über die tatsächlichen Folgen für die Gesundheit bekannt ist. Aus den USA wird jedoch immer wieder von mit Dampfen in Verbindung stehenden ernsthaften Erkrankungen berichtet, die US-Gesundheitsbehörde CDC zählte bis Anfang 2020 sogar 68 Todesfälle. In Europa wurden bisher keine bekannt. Dampfen steht jedoch in der Kritik, weil es vor allem bei Jugendlichen sehr beliebt ist. Expertinnen und Experten fordern deshalb ein umfassendes Werbeverbot auch für E-Zigaretten. 

Je häufiger der Kontakt zu Werbung, desto öfter wird geraucht

Hinweise dafür, dass Werbung zum Rauchen anstiftet, gibt es genug. Eine Reihe von Untersuchungen macht deutlich: Je öfter Menschen Tabakwerbung über Plakate und Zeitungen wahrnehmen oder Prominente im Fernsehen mit Zigaretten sehen, desto häufiger rauchen sie auch selbst (BMJ: MacFayden et al., 2001, Cochrane Systematic Review: Lovato et al., 2011). Ähnliche Verbindungen fanden Forschende in Studien zur Wirkung von E-Zigarettenwerbung (ERJ Open Research: Hansen et al., 2018).

Außerdem macht ein Blick in die Vergangenheit deutlich, wie wirkungsvoll staatliche Maßnahmen die Zahl der Rauchenden verringern können: etwa durch höhere Besteuerung von Tabak, durch Gesetze, die das Rauchen an bestimmten Orten verbieten, durch Gesundheitswarnungen auf den Verpackungen, Präventionsprogramme, ärztliche Beratung für diejenigen, die aufhören wollen – oder eben durch Werbeverbote.

Diese Instrumente kamen in Deutschland im Verlauf der vergangenen 20 Jahre immer stärker zur Anwendung – wodurch die Raucherquote bei 11- bis 17-Jährigen in diesem Zeitraum von mehr als 20 Prozent auf etwa sieben Prozent gefallen ist. Auch Erwachsene rauchen heute weniger als früher: Mitte der Neunzigerjahre griffen noch mehr als 40 Prozent der Männer in Deutschland regelmäßig zur Zigarette, inzwischen sind es nur noch etwas mehr als ein Viertel (28 Prozent). Bei den Frauen liegt der Anteil noch niedriger. Nur etwas mehr als jede fünfte Frau (22 Prozent) raucht noch regelmäßig.

Welche Rolle speziell Werbeverbote bei diesen Rückgängen spielten, ist aus diesen Zahlen allerdings kaum herauszulesen. Schließlich haben solche Maßnahmen eine eher schleichende Wirkung und werden häufig im Paket mit anderen Maßnahmen beschlossen. Dass sie dennoch entscheidend zu einer niedrigeren Raucherquote beitragen könnten, davon sind Forschende überzeugt. Das US-Krebsforschungszentrum NCI trug in einem weltweit viel beachteten Bericht alle bekannten Beweise für die Wirkung von Werbung auf das Rauchverhalten zusammen (National Cancer Institute: Davis et al., 2008). Das Fazit: "Studien zu Tabakwerbeverboten in verschiedenen Ländern zeigen, dass umfassende Verbote den Tabakkonsum reduzieren." Gibt es lediglich eingeschränkte Werbeverbote, dann wird einfach dort mehr geworben, wo es noch erlaubt ist: in Deutschland etwa auf Plakaten, was hier, anders als in allen anderen EU-Ländern, noch legal ist. 

"Jugendliche sind die interessanteste Zielgruppe"

Beliebte Motive: Unabhängigkeit, Geselligkeit, Individualität

Obwohl es in Deutschland  mittlerweile verboten ist, "Jugendliche oder Heranwachsende zum Konsum zu veranlassen oder darin zu bestärken" (§ 21, TabakerzG) richtet sich Tabakwerbung nach wie vor oft sehr stark an ein junges Publikum. "Jugendliche sind die interessanteste Zielgruppe für die Tabakindustrie", sagt auch Katrin Schaller von der Stabsstelle Krebsprävention am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Sie seien die Raucherinnen und Raucher von morgen. Daher lohne es sich aus Sicht der Werbetreibenden besonders, auf diese zu zielen.

Zwar geschieht das heute nicht mehr so offensichtlich wie früher, als das HB-Männchen noch in seinen lustigen Cartoons kleine Kinder vor dem Fernseher unterhalten durfte. Mit den Themen, die noch immer auf Plakaten oder in Kinowerbespots angesprochen werden – etwa Unabhängigkeit, Geselligkeit, Abenteuerlust oder Individualität – identifizierten sich aber nach wie vor vorwiegend junge Leute.

Werbung vermittelt ein positives Gefühl und Normalität

Natürlich sei es nicht Werbung allein, die dazu bewege, mit dem Rauchen anzufangen. Viel wichtiger, sagt Suchtexpertin Katrin Schaller, wögen andere Faktoren, etwa ob die Eltern zu Hause rauchten oder Freunde dazu anstifteten, auch einmal an der Zigarette zu ziehen. Doch auch Werbung trage ihren Teil dazu bei, indem sie das Rauchen mit positiven Gefühlen verknüpfe und es als etwas darstelle, das zum Alltag gehöre. "Leute, die dem Rauchen etwas zurückhaltender gegenüberstehen, erleben es durch die Werbung als etwas Normales", erklärt Schaller. "Das kann bewirken, dass sie sich denken: Naja, vielleicht probiere ich es doch einmal aus." 

Suchtexpertinnen wie Schaller reicht es deshalb nicht, auf Verpackungen von Zigaretten und Tabak nur abschreckenden Bilder zu zeigen, was bereits seit 2016 Pflicht ist. Sie fordern auch ein sogenanntes Plain Packaging, also Zigarettenverpackungen ohne Herstellerlogos. Einige Länder, etwa Australien, Großbritannien oder Norwegen haben diese bereits von Verpackungen verbannt.

Auch Alkoholwerbung stiftet zu schädlichem Konsumverhalten an

Verwunderlich mag dabei erscheinen, dass angesichts der gesundheitlichen Folgen, die auch der Konsum von Alkohol haben kann, nicht auch in diesem Bereich über ein Werbeverbot diskutiert wird.

Alkoholkonsum kann Erkrankungen des Herzens und des Kreislaufsystems auslösen – eine Tatsache, die laut einer nicht repräsentativen Umfrage von ZEIT ONLINE nur wenigen bewusst ist – ferner Krebs in der Leber, im Darm, am Kehlkopf, der Mundhöhle oder im Rachen (Addiction: Connor 2016). Und er kann auch zu psychischen Problemen führen. 

Insgesamt, schätzt die WHO, können rund 200 unterschiedliche Krankheiten oder gesundheitliche Probleme mit Alkoholkonsum in Verbindung gebracht werden.

Hinzu kommen mögliche indirekte Folgen, wie Gewalttaten oder Unfälle unter Alkoholeinfluss: Bei im vergangenen Jahr polizeilich aufgeklärten Gewaltdelikten in Deutschland war mehr als jeder vierte Täter alkoholisiert (26 Prozent). Besonders häufig handelte es sich um Fälle von gefährlicher Körperverletzung, sexuelle Übergriffe oder Totschlag (PKS 2018). 7,5 Prozent aller Verkehrstoten, das heißt, jede 13. im Straßenverkehr getötete Person starb im Jahr 2018 durch einen Unfall unter Alkoholeinfluss (DESTATIS 2018).

In Studien zur Wirksamkeit von Alkoholwerbung wurden ähnliche Effekte festgestellt wie beim Thema Tabakwerbung (Addiction: Morgenstern et al., 2016 & Addiction: Jernigan et al., 2016). Je öfter besonders Jugendliche Alkoholwerbung wahrnehmen, desto häufiger und mehr trinken sie. Die Effekte sind zwar nicht so genau untersucht wie die von Tabakwerbung, doch sehen Spezialisten für Suchtprävention auch hier einen Bedarf für strengere Reglementierungen.

"Man könnte sagen: Unser Bewusstsein dafür, dass Alkohol nicht so harmlos ist, wie die Leute glauben, ist heute etwa an dem Punkt, an dem wir beim Thema Rauchen vor etwa 50 Jahren waren", sagt Katrin Schaller vom Deutschen Krebsforschungszentrum. Dementsprechend sei der Druck auf die Politik noch nicht so groß, Werbung für Alkohol stärker einzuschränken. In Deutschland ist diese bisher nur im Kino vor 18 Uhr verboten oder dann, wenn sie sich direkt an Kinder und Jugendliche richtet. Im Fernsehen, im Radio, auf Plakaten und im Internet ist Alkoholwerbung erlaubt. Jedenfalls so lange, wie sich die Politik nicht auch hier um ein umfassendes Verbot kümmert.